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Volldampfschifffahrt

Als nach Erdbeben, Tsunami und AKW-Unfall die Bänder japanischer Autohersteller stillstanden, hatten auch die Transportschiffe nichts zu tun: Porträt einer nimmermüden Branche.

Text: Ani Reng
Fotografie: Archiv
Das Bild war bizarr: Ein stadiongroßer Kahn lag in Sichtweite Portos auf der Seite, der Kiel anklagend in der Luft. Himmel und Meer: blau. Im Vordergrund: Badende. Das später preisgekrönte Motiv hatte freilich ein kurzes Ablaufdatum: Rasch wurde die „Reijin“, so der Name des unter panamesicher Flagge fahrenden Car Carriers, in tiefe Gewässer geschleppt und versenkt.

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Grund dafür war die Ladung: knapp 5.000 nagelneue Autos aus Japan, und die ersten Plünderer hatten sich bereits angeschickt, den einen oder anderen Wagen an Land zu ziehen. Die Folgen für den betroffenen Autokonzern wären katastrophal gewesen: Wo auch immer die Schwimmer aufgetaucht wären, von ihrer Salzwasserkrankheit wären sie nie wieder genesen. Rost, Elektronikprobleme, gammeliges Innenleben: alles kein Renommee für den Hersteller. Da war es allemal billiger, Schiff mitsamt 5.000 Neuwagen abzuschreiben, als unkalkulierbare Imagedefizite in Kauf zu nehmen.

Dass es japanische Autos auf Europas Straßen gibt, passiert nicht von selber. Zwar unterhalten alle namhaften Hersteller auch Werke in Europa, das hat in der Regel aber schnöde fiskalische Gründe. Derart spielt man sich von Wechselkursschwankungen frei und hat bei den Regierungen was gut, immerhin schafft man doch genuin europäische Arbeitsplätze. Die wahren Japaner, die besonderen Geräte, geschaffen unter kundiger Hand exzellent ausgebildeter und oft noch immer mit lebenslänglicher Jobgarantie ausgestatteter japanischer Arbeiter, haben aber nach wie vor einen beschwerlichen Seeweg vor sich.

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Mindestens einen Monat lang ist ein japanisches Auto unterwegs, bis es auf europäisches Festland rollt, einmal um die halbe Welt, um hier einen neuen Besitzer zu finden. Der Job von Simon Stacy, Cheflogistiker von Honda Motor Europe in London, ist es, etwa den neuen Jazz Hybrid in ausreichender Stückzahl auch tatsächlich in Europa verfügbar zu machen. Autos, die zum Beispiel aus der Hightech-Stadt Tochigi kommen, werden an einen der japanischen Häfen Toyohashi, Chiba, Yokkaichi oder Yokohama geliefert, einfacher zu produzierende Modelle kommen auch aus China und werden im Hafen von Guangzhou Xinsha eingeladen. Eingeladen: Stellen Sie sich den größten Parkplatz vor, den Sie je gesehen haben, an einem amerikanischen Flughafen etwa, und multiplizieren Sie ihn mit einer beliebigen Summe. Dann bekommen Sie eine ungefähre Vorstellung von der Größe dieser Logistikflächen, auf denen Autos auf den Abtransport warten. Und sie warten nicht lange: Just-in-Time-Produktion mit geringstmöglichen Lagerbeständen ist eines der Grundprinzipien japanischer Wirtschaft und hat auch einen schönen japanischen Namen: Kanban. Fakt ist: Kein Auto steht länger als unbedingt nötig.

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Wenn das Schiff kommt, geht das große Wuseln los: Minivans entern den Parkplatz, sechs uniform gekleidete Japaner springen heraus und in Autos rein. Nach einem präzisen Plan verladen sie Neuwagen auf exakt bestimmte Decks und fahren dabei jene wenigen Kilometer drauf, die jeder Neuwagenkunde am Tacho seines jungfräulichen Japaners vorfindet.

Auch wenn ein Schiff immer nur mit ein und derselben Type beladen wird: Die Logistik ist beeindruckend. Importeuren und Länderorganisationen werden Sonderausstattungen und Farbwünsche eingeräumt, dazu kommen vor allem bei Top-of-Range-Modellen genau spezifizierte Ausstattungen. Die Kunst ist es jetzt, dass der Honda Legend mit dunkelblauem Leder, den der Connaisseur in Grub im Wienerwald präzise nach seinen Vorlieben maßgeschneidert hat, im Schiff so zu liegen kommt, dass er dem fast baugleichen Artgenossen für unseren belgischen Freund, der auf die letzte Ausbaustufe der Hi-Fi-Anlage verzichtet hat, beim Ausladen nicht im Weg rumkugelt. Das Ausladen passiert nur selten an einem Fleck, in der Regel läuft der Car Carrier eine Handvoll Häfen in Europa an. Die angesprochenen Honda Jazz Hybrid werden in Gioia Tauro (Süditalien), Gent (Belgien), Bristol (England), Setubal (Portugal), Santander (Spanien) und Hanko (Finnland) auf europäischen Boden rollen.

Doch damit nicht genug: Die großen Reedereien wie WWL, NYK, MOL und K-Line transportieren auf ein und derselben Fahrt Autos unterschiedlicher Hersteller. Drei Decks Mitsubishi, drei Decks Mazda, der Rest Nissan, und selbstverständlich müssen die auch an unterschiedlichen Häfen gelöscht werden, in Zeebrugge (Belgien) etwa, in Bremerhaven (Norddeutschland), Piräus (Griechenland) und Derince (Türkei).
Beim Einladen sind Fehler also leichter gemacht als vermieden, und da reden wir noch gar nicht vom Einparken selbst. Durchschnittliche Car Carrier fassen zwischen 3.000 und 6.000 Autos, diverse ehrgeizige Sonderprojekte liegen mittlerweile auch schon drüber. Das obere Limit markieren im Moment Giganten wie die „Oberon“ und ihr Schwesterschiff „Aniara“, die bis zu 8.000 Autos fassen können.
Car Carrier sind bis zu 220 Meter lang, hoch wie zehnstöckige Häuser und maximal 32,26 Meter breit, der Panamakanal schiebt noch weiter gehendem Superlativismus einen Riegel vor. Der größte Feind dieser Schiffe ist Seitenwind: Die riesige Fläche verhält sich wie ein Segel, der Winddruck ist enorm. Und Autos sind – etwa im Vergleich zu Flüssigkeiten oder Schüttgut – eine leichte Fracht, die die Schiffe nicht so stabilisiert, wie man das wünschen möchte. Aus diesem Grund bunkern Car Carrier massiv Ballast und fahren bei Seitenwind mit Schlagseite.

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Um diese mächtigen Brocken überhaupt vom Fleck zu kriegen, braucht es entsprechend große Motoren. Sie kommen zum Beispiel von MAN aus Deutschland, auch für seine Lkws bekannt. So ein Schiffsdiesel in einem Car Carrier darf durchaus 22.000 PS haben, und das bei nur knapp über 100 Umdrehungen pro Minute. (Rekord ist das freilich nicht: Für das koreanische Containerschiff „Cosco Guangzhou“ hat MAN im Jahr 2006 den ersten Dieselmotor mit mehr als 100.000 PS gebaut, inzwischen ist man schon bei 130.000 PS angelangt.) Mit einer Länge von 32 Metern, sieben Metern Breite und 14 Metern Höhe würde sich so ein Schiffsmotor auch in einer Eigenheimsiedlung gut machen. Selbstverständlich gurgeln diese Zweitakt-Giganten auch ganz kräftig Sprit (konkret: das besonders schwefelhaltige Schweröl). Weil jegliche Ersparnis in erster Linie dem Reeder dient und der Umweltgedanke erst sekundär gedacht wird, gibt es hier allerdings zarte Hoffnung auf Fortschritte.

Wenn Mitsubishi, Sanyo und die Reederei MOL im Jahr 2012 gemeinsam ein Autotransportschiff vom Stapel lassen, das (auch) mit Solarenergie fahren kann, steckt massiver wirtschaftlicher Egoismus dahinter. Früher oder später wird die Umweltdiskussion auch die Schifffahrt erreichen, verursacht sie doch laut so Greg McNevin von Greenpeace International „doppelt so viel CO2 wie der globale Flugverkehr, also etwa vier Prozent aller Emissionen“. Schon seit 2008 ist mit der „Auriga Leader“ von Nippon Yusen ein Schiff unterwegs, dessen Solarpanele 6,5 Prozent Verbrauch einsparen sollen. 20 Tonnen weniger CO2 pro Jahr versprechen die Entwickler, die immerhin eine Runde Million Euro in die Entwicklung gesteckt haben. Fahren kann das Schiff mit Solarenergie freilich nicht: Die Leistung der Panele (40 Kilowatt) wird in die Bord­elektrik eingespeist und unterstützt so zum Beispiel die Hydraulikpumpen für die Steuerung.

Die größte Schweinerei auf See passiert ohnehin nicht durch das Wie, sondern durch das Womit: Der gebräuchlichste Schiffstreibstoff Schweröl ist das, was beim Raffinieren von Rohöl übrig bleibt, eine zähe schwarze oder dunkelbraune Masse, in der all der Dreck steckt, der zu schwer für edlere Stoffe wie Benzin und Dieselöl war. Die Schwermetallkonzentration in Schweröl, in der Branche sarkastisch „Chanel No. 6“ genannt, spottet jeder Beschreibung. Ein Verbot von Schweröl als Schiffstreibstoff wird zwar immer wieder diskutiert, der große Durchbruch ist aber bislang ausgeblieben. Die EU will nun immerhin die Arktis frei von Schweröl halten, Kalifornien in einer 24-Meilen-Zone entlang der Küste nur noch Schiffe mit Dieselöl oder Gas sehen.

Ein umweltbewusster Kapitän hätte derzeit nur eine Chance, Sprit zu sparen: Er müsste langsamer fahren. Doch Zeit ist Geld, vor allem im Transportgeschäft. Das Beladen der Schiffe dauert ohnehin schon mehrere Tage. Simon Stacy von Honda Europe gibt 120 Autos pro Stunde als Idealwert für die Beladung an, eine für den Laien völlig irreal wirkende Summe: Ein Schiff ist kein amerikanischer Supermarkt-Parkplatz, Rampen, Auto- und Abfahrten kosten Zeit. Decks wollen justiert werden (moderne Car Carrier haben höhenverstellbare Zwischendecks, um bei Bedarf auch Nutzfahrzeuge transportieren zu können), Schoten müssen geschlossen werden.

Verständlicherweise vertraut jeder Hersteller auf speziell geschultes Personal, und wer je das Vergnügen hatte, diesen Aus- und Einparkkünstlern bei der Arbeit zuzusehen, braucht keine Ballettaufführung mehr. Minivans bringen die Rangeure retour auf den Parkplatz, während die Fracht im Bauch der Car Carrier verzurrt wird, jedes Auto für sich. Die Rangierer – eigentlich sollten sie eleganter Rangeure genannt werden – haben die Autos zentimetergenau eingeparkt, exakt den Vorschriften der Hersteller gemäß: Bei Honda sind es 30 Zentimeter Abstand zwischen Stoßstange und Stoßstange, zehn Zentimeter zwischen Außenspiegel und Außenspiegel, man wäre fast versucht, es nachzumessen.

Während die einen also schon wieder auf dem Weg nach draußen sind, verzurren innen, im Schiffsbauch, eigene Crews die Autos. Dazu werden sie mit speziellen „Zero Damage“-Gurten an eigens montierten Abschleppösen vorn und hinten festgespannt. Die See ist rau, die Ladung darf unter keinen Umständen verrutschen. Immerhin haben die Schiffe keine Kartoffeln geladen, sondern nagelneue Autos, die am Bestimmungsort noch genauso nagelneu aussehen sollen. Aus diesem Grund gelten für alle, die mit der Be- oder Entladung zu tun haben, strenge Bekleidungsvorschriften, so Stacy. Keine Ringe. Keine Uhren. Keine Gürtel. Keine Nieten. Keine Boots. Man nennt das „Zero Damage Rules“.

Wobei die Autos ohnehin mit einer doppelten Haut versehen sind, bevor sie an Bord gehen: Honda appliziert eine Art Flüssigfolie auf die Karosserie, die vor allem die geraden Teile der Karosserie vor Beschädigungen schützt.

Selbstverständlich passiert auf der Seereise trotzdem immer wieder einmal etwas, das bedingt schon die reine Stückzahl. Kleinere Malheurs wie der eine oder andere Kratzer, aber auch Logistikfehler wie falsche Felgen oder Länder-Extrawünsche (etwa das unsägliche Tagfahrlicht, in das sich Österreich vor ein paar Jahren verrannt hatte) werden in spezialisierten Aufbereitungscentern noch am Hafen behoben. In Bremerhaven zum Beispiel warten bis zu 100.000 Autos auf 2.000.000 Quadratmetern Parkfläche auf ihre Weiterverarbeitung.

Große Malheurs hingegen beschäftigen die Tagespresse. Die schaurige Faszination sinkender Schiffe wird bei Car Carriern durch die Art ihrer Ladung offensichtlich noch gesteigert. Als am 14. Dezember 2002 die norwegische „MV Tricolor“ im Kanal von England mit einem Frachtschiff kollidierte und auf Grund lief, verhinderte nur noch Weihnachten einen medialen Dauerbrenner: An Bord waren 3.000 Autos von Volvo, BMW und Saab, das war ja schon einmal spannend. Dazu kam, dass die „Tricolor“ an einer so seichten Stelle gesunken war, dass man sie bei Ebbe von Land aus sehen konnte. Um den Weg für andere Schiffe an dieser Hauptdurchzugsroute wieder frei zu machen, musste man den Giganten filetieren, und zwar im Wortsinn: Auf beiden Seiten des Schiffes wurden Plattformen im Meer verankert, ein mit Schneidediamanten besetztes Tau unter die „Tricolor“ gefädelt und der gesunkene Riese damit in handliche Scheiben geschnitten, die man abtransportieren konnte.

Vor Vancouver Island liegt schon seit den Sechzigerjahren ein Autotransporter auf Grund; ein beliebtes Ziel für Taucher. Die letzten Autos gingen in großem Stil vor Chinas Küste baden; auch das eine oder andere Kidnapping vor den Küsten Ostafrikas schafft es hin und wieder in die Weltpresse. Manchmal muss man sich fast wundern, dass in der Regel alles ganz problemlos funktioniert. Im Idealfall, sagt Simon Stacy, braucht ein Auto 36 bis 40 Tage von der Fabrik bis zum Händler. Dass der aktuelle japanische Produktionsausfall (der in erster Linie Toyota betraf) auf Europa durchschlägt, ist nicht zu erwarten: Volumensmodelle werden ohnehin selten bloß in einer Fabrik gefertigt, dann gibt es noch die Japaner aus europäischer Fertigung und gut gefüllte Lager in Europa.

Dass der Fahrplan der Car Carrier im Sog der aktuellen japanischen Dreifachkatastrophe außer Takt geraten ist, hat den schwimmenden Giganten ein neues Geschäftsfeld eröffnet: Einige von ihnen verdienen ihr Geld im Moment als schwimmende Garagen.

Bisher erschienene Motorstorys finden Sie hier.

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