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Und vergib uns unsere Schuld

Die einstigen Hüter von Recht und Anstand sind tief gefallen, das Image der katholischen Kirche ist ramponiert. Ein Volksbegehren nimmt nun auch ihre Privilegien ins Visier. Ein Kreuzweg.

Text: Natalie Campbell, Nikolaus Jilch, Michael Weiss
Fotografie: Scala, Marie-Therés Unger, Archiv
Wenn sonntags von Eisenstadt bis Bregenz die Glocken in den Türmen der katholischen Kirchen läuten – sie tun es für die Mehrheit der Österreicher. Offiziell sind noch immer 5,45 Millionen der 8,4 Millionen Einwohner Katholiken – trotz scheinbar dominanter Islam-Diskussionen und obwohl inzwischen sogar die Zeugen Jehovas eine vom Staat anerkannte Religionsgemeinschaft sind. Die absoluten Zahlen und die lange Tradition: Es sind jene Dinge, auf die sich die katholische Kirche noch berufen kann. Und natürlich uralte Verträge wie das Konkordat, das Österreich während des Austrofaschismus Anfang der 1930er Jahre mit dem Vatikan abschloss. Dennoch geht es bergab mit der katholischen Kirche in Österreich. Die Mitgliederzahlen sinken nicht erst seit gestern, sondern seit Jahrzehnten. Vergangenes Jahr kamen dann neue Missbrauchsskandale dazu.

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Dabei brach etwas auf, das sehr lange unterdrückt worden war. Immer wieder wurde die Kirche von Sex- und Pädophilieskandalen erschüttert, aber die große Masse der Fälle wurde verdrängt. Bis 2010 konnten sich die Kirchenoberen auf „Einzelfälle“, auf „schwarze Schafe“ ausreden – von systematischem Missbrauch war keine Rede. Das ist jetzt anders. Auf der ganzen Welt muss die Kirche Entschädigungen zahlen und Mitglieder einbüßen. In Österreich traten vergangenes Jahr rund 87.000 Menschen aus der Kirche aus. So viele wie nie zuvor in der Zweiten Republik. Und die Sache ist bei weitem nicht ausgestanden, das sagt sogar Waltraud Klasnic. Die ÖVP-Politikerin und ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark betreut im Auftrag der Kirche die Missbrauchsopfer, die sich melden. „Es ist ein offener und ehrlicher Umgang gefragt, und ich glaube, es ist hier einiges gelungen“, sagte Klasnic im April. 192 der 837 Betroffenen, die sich gemeldet hatten, erhielten bisher finanzielle Entschädigungen zwischen 5.000 und 25.000 Euro. Aber während Klasnic die Arbeit ihrer „Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft“ lobt, steigt die Wut vieler Betroffener weiter an. Sie haben sich inzwischen organisiert; haben ihre eigenen Ermittlungen angestellt, ihre eigenen Statistiken erhoben. Sie sehen in der Klasnic-Kommission eine Alibihandlung der Kirche und einen Skandal. Denn der Staat überlässt hier tatsächlich die Aufarbeitung jener Organisation, die sich schuldig gemacht hat.

Ende des Jahres läuft auch deshalb ein „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien“ an, das eine staatliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle fordert. Und das Ende einer ganzen Reihe von Vorteilen, die die katholische Kirche in Österreich genießt. Steuerrecht, Arbeitsrecht, Konkordat: Das Volksbegehren fordert nicht weniger als eine Revolution im Verhältnis zwischen der Republik und dem Vatikan. Die Skandale, Massenaustritte und das Volksbegehren bringen Bewegung in die Parallelwelt des Katholizismus. Die Konfliktfelder sind genauso vielfältig wie die handelnden Personen. Ein Kreuzweg durch das Schlachtfeld Kirche, 2011 Jahre nach Christi Geburt.

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I. Jesus wird zum Tode verurteilt

Niko Alm, Atheist und Unternehmer

Atheisten, sagt die Legende, beschäftigen sich zu viel mit Gott. „Da ist schon was dran“, sagt Niko Alm. Der Internet­unternehmer ist wahrscheinlich Österreichs bekanntester Gottesverweigerer. Er verbindet seinen atheistischen Aktionismus mit seinem Job: Beim Kurznachrichtendienst Twitter hat er inzwischen mehr als 2.000 Fans, und hinter vielen Anti-Kirche-Websites stehen er und seine Firma. Auch das Anti-Kirchen-Volksbegehren wurde von Alm mitinitiiert. „Dabei richten wir uns, wenn man es genau nimmt, gar nicht gegen die Kirche“, sagt er. „Die meisten Privilegien werden der Kirche vom Staat gewährt. Der Staat verhält sich nicht neutral. Das wollen wir ändern.“

Wir – das sind rund ein Dutzend Gruppen von der Laizismus-Initiative bis zur Plattform „Religion ist Privatsache“. Das Volksbegehren ist ein ambitioniertes Vorhaben, das sich gegen eine ganze Reihe von angeblichen Privilegien der römisch-katholischen Kirche wenden wird: von Steuervorteilen bis hin zum Konkordat, in dem wiederum eine Reihe der Privilegien festgehalten sind. Bis September sollen die notwendigen 8.000 Unterstützungserklärungen eingesammelt sein. Dann beginnt das eigentliche Volksbegehren.

Alm kommt aus Gänserndorf bei Wien, er wurde katholisch getauft, war immer „brav“ im Religionsunterricht, sagt aber heute, dass er niemals wirklich geglaubt hat. Wie viele andere innerhalb und außerhalb der Kirche wurde Alm von der Affäre um Hans Hermann Groër erschüttert. Der Wiener Erzbischof trat 1995 zurück, nachdem Missbrauchsvorwürfe gegen ihn laut geworden waren. „Wir hatten im Ort auch einen Missbrauchsfall. Und was ist mit dem Pfarrer passiert? Wurde er bestraft? Nein, er wurde versetzt“, sagt Alm.

Aus dem Groër-Schock entstand 1995 das erste „Kirchenvolks-Begehren“. Das war zwar kein „echtes“ Volksbegehren, sondern nur eine einfache Unterschriftenliste, wurde aber trotzdem von rund 500.000 Österreichern unterzeichnet. Spätestens seit damals haben die Laien, also die Nicht-Priester, auch etwas zu sagen. Alm will, dass auch die Atheisten und Konfessionsfreien in Zukunft eine Rolle spielen in der Religionspolitik. „Wir sind mit rund 2,5 Millionen Mitgliedern, wenn man so will, die zweitgrößte Religionsgemeinschaft nach den Katholiken“, sagt Alm. „Aber wenn im Spannungsfeld Kirche und Staat eine Entscheidung ansteht, werden wir nicht gefragt – sondern nur die Kirchenvertreter. Das muss sich ändern.“

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II. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

Heinz Oberhummer, Physikprofessor

Die Religionsgegner sind heute zunehmend erfolgreich. „Die wollten die Sache mit dem Ethikunterricht einfach über unsere Köpfe entscheiden“, ruft Heinz Oberhummer und lacht. Ursprünglich waren nur die Vertreter von Religionsgemeinschaften als „Experten“ zur Debatte über den Ethikunterricht ins Parlament eingeladen worden. „Ich habe sofort eine Presseaussendung rausgeschickt. Dann haben sie uns eingeladen.“ Und wer sitzt jetzt als Experte der Grünen in den parlamentarischen Beratungen zum Thema Ethikunterricht? Heinz Oberhummer. Der Physiker ist neben Niko Alm eine der aktivsten Figuren im Netz von Atheisten und Konfessionsfreien. „Und wie jeder gute Konfessionsfreie war auch ich in einem katholischen Internat“, sagt Oberhummer. „Sünde, Folter, schlechtes Gewissen – mich hat das alles damals schon immens gestört. In der Früh beten, mittags beten, abends um neun ins Bett. Für einen Burschen war das der Horror.“ Er habe aber auch noch lange nach Ende der Schulzeit an einen Gott geglaubt, sagt Oberhummer. Auch an der Uni, als er „zum ersten Mal selbst entscheiden konnte, was gut und was schlecht ist“. Atheist ist Oberhummer erst in der Pension geworden. Heute ist der der Jugend vor allem als „Science Buster“ auf dem Radiosender FM4 ein Begriff.

Oberhummer will die Privilegien der Kirche auch abbauen, um dem Staat Geld zu sparen: „Wenn man der Kirche einige Vorteile nehmen würde, der Staat könnte rund eine Milliarde Euro sparen. Und das in Zeiten der Wirtschaftskrise!“ Das Erste, was laut Oberhummer verschwinden müsste, ist der Blasphemieparagraf. „Sechs Monate Gefängnis für das Herabwürdigen religiöser Lehren? Ich bitte Sie!“ Richtig sparen könne man aber an den Schulen, denn Bund und Länder übernehmen die Kosten für den Religionsunterricht – und subventionieren sogar katholische Privatschulen. „Und zusätzlich hat die Kirche Zugang zu unseren Kindern“, sagt Oberhummer. Die Liste der Kirchenprivilegien ist lang: Steuervorteile, Subventionen, Schulsystem. Aber vollständig sei sie noch lange nicht, sagt Oberhummer. Die einzelnen Bevorteilungen der Kirche durch den Staat seien weit gestreut in hunderten Gesetzen und Bestimmungen auf Bundes- und Landesebene zu finden.

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III. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Elisabeth Ohri, Missbrauchsopfer

Wenn Elisabeth Ohri einen guten Tag hat, werkt sie stundenlang in ihrem Schrebergarten im 22. Wiener Gemeindebezirk. „Ich bin gern an der frischen Luft und arbeite in meinem romantischen Kunstgarten.“ Hat Ohri einen schlechten Tag, dann bleibt die Tür zum Garten geschlossen. Dann sitzt sie von der Früh bis zum Abend in ihrem Futon, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Vor drei Jahren hatte ich ein Burn-out, und davon habe ich mich noch immer nicht erholt. Ich gelte als berufsunfähig“, sagt sie.

Elisabeth Ohri war fünf Jahre alt, als sie von Schwestern des Annunziaterklosters in Eichgraben in Niederösterreich gefoltert wurde. Das war vor fast fünf Jahrzehnten. Ohri ist heute 54 Jahre alt. Bis vor einem Jahr hat sie ihre Kindheitserlebnisse niemandem anvertraut. „Ich habe mich geschämt dafür“, sagt sie. „Und wer hätte das schon verstanden? Wenn man sich umschaut, was für schreckliche Dinge auf der ganzen Welt passieren, dann ist das doch ein Klacks dagegen.“ Zeit ihres Lebens hatte Elisabeth Ohri mit vielen Problemen zu kämpfen. „Seit meiner Kindheit leide ich an Essstörungen und chronischen Schmerzen“, sagt sie. Therapien, Mobbing am Arbeitsplatz, Burn-out.

„Mir fehlt es am Selbstbewusstsein und an der nötigen Durchsetzungskraft. Heute weiß ich, dass sich all meine Leiden auf meine Erlebnisse im Kloster zurückführen lassen.“ Vor einem Jahr überkam Ohri auf einmal der Drang zu zeichnen. Tag und Nacht arbeitete sie wie besessen, ließ Erinnerungen freien Lauf, die eine halbe Ewigkeit in ihr geschlummert hatten. Das Ergebnis ihrer Zeichenwut waren 82 Skizzen in Schwarz-Weiß, ein Comic, der die Scheinheiligkeit und Verlogenheit der katholischen Kirche thematisierte. „Eigentlich zeichne ich bunte Bilder, aber bei dieser Thematik war mir nicht nach Farben zumute“, sagt Ohri. Über die Suche nach einem Verleger stieß sie auf die Plattform für Betroffene kirchlicher Gewalt. „Von dieser Organisation habe ich mich vor allem dadurch angesprochen gefühlt“, sagt Ohri, „weil die hervorheben, dass sexuelle Gewalt nur ein Teil des Verbrechens ist, unter dem Opfer zu leiden haben. Auf seelische Gewalt wird gern vergessen, doch auch das ist eine Form von Folter.“ Ohri ist zum kreativen Kopf der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt geworden, ihr Comic wird auf der Website zum Verkauf angeboten. Das Anti-Kirchen-Volksbegehren befürwortet sie. Aber: „Dafür kämpfen müssen andere. Mir sind meine Kräfte ausgegangen.“

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IV. Jesus begegnet seiner Mutter

Jakob Purkarthofer, Sprecher der Betroffeneninitiative

Gekämpft wird inzwischen. „Wir haben eine Täterliste, die umfasst 423 Menschen“, sagt Jakob Purkarthofer, der die Arbeit der Betroffeneninitiative koordiniert. „Wir glauben, es gibt zwei Typen von Tätern: die Serientäter und die, die sich ein Opfer aussuchen. Meistens einen Burschen. Und meistens nur Burschen, die noch vor der Pubertät stehen – klassische Pädophile.“ Die Serientäter hätten im Schnitt zwanzig bis dreißig Opfer gehabt. Und: Ein Viertel der Täter waren keine Priester, sondern Frauen. Klosterschwestern oder Ordensfrauen. „Man muss mindestens von ein paar tausend Opfern in Österreich ausgehen“, sagt Purkarthofer. Das kommende Volksbegehren geht ursprünglich auf die Betroffenenplattform zurück. Die selbst organisierten Betroffenen sind vor allem über die Vorgehensweise der Klasnic-Kommission entsetzt, die die Missbrauchsfälle im Auftrag der Kirche aufarbeiten soll.

„Das ist eine Art Täterschutzkommission. Da geht es nur darum, das Problem irgendwo abzufangen“, sagt Purkarthofer. „Die Kommission schickt die Opfer, die sich melden, zu Therapeuten, die oft einen katholischen Hintergrund haben. Da werden sie zehn Stunden lang ausgehorcht. Dann gibt es einen Befund, und auf Basis dessen wird Geld ausbezahlt. Da herrscht null Transparenz. Von dem, was ich bisher gesehen habe, kann ich nur sagen: Da wird offenbar denjenigen mehr Geld gegeben, die das Potenzial hätten, an die Medien zu gehen.“ Im Volksbegehren wird auch die Einrichtung einer transparenten staatlichen Stelle gefordert, die den Missbrauch aufarbeiten soll. Für Purkarthofer besteht kein Zweifel, dass die Vergehen an Kindern in der katholischen Kirche systematisch waren und die Dunkelziffer auch jetzt noch sehr hoch ist. Und dass die Kirche sich keine Vorstellung davon macht, wie groß der Schaden ist, den ihre Priester und Schwestern angerichtet haben. „Missbraucht wurden meistens Kinder, die aus prekären Situationen kommen und in Heimen aufgewachsen sind“, sagt Purkarthofer. Das habe zwei Folgen: „Den größten Schaden hat die Kirche in ihrer Kernzielgruppe angerichtet. Und trotzdem – oder gerade deswegen – gibt es bei vielen Opfern bis heute eine geradezu absurde Loyalität gegenüber der Kirche.“

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V. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Wolfgang Pucher, Vinzi-Pfarrer

Das schwindende Vertrauen in die katholische Kirche macht Wolfgang Pucher die Arbeit kein bisschen einfacher. Die Vinzenzgemeinschaft, die der 72-Jährige in Graz gegründet hat, kümmert sich um jene Menschen, die der Staat fallengelassen hat: Bettler, Obdachlose, Illegale. Seit 1990 sind aus Puchers Initiative mehr als dreißig Vinzi-Projekte in ganz Österreich entstanden – im Namen der katholischen Kirche. „Und jetzt kommt das Bettelverbot“, sagt Wolfgang Pucher. „Da besteht wirklich die Gefahr des Verlusts der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft.“ Der Vinzi-Pfarrer steht mit seinem Entsetzen über die Entscheidung, die der steirische Landtag mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ traf, nicht alleine da. Aber er hat jeden Tag mit den Folgen zu kämpfen.

„Die Politiker von ÖVP und SPÖ haben hier ihr Gesicht verloren“, sagt Pucher. „Wir gehen da nicht mehr mit.“ Den Vorwurf, die Bettler in Graz seien von einer Mafia organisiert, hält Pucher für absurd. Er habe viele Familien in der Slowakei besucht. Nach der Mafia hat er vergeblich gesucht. „Bei dem Bettelverbot geht es doch nur um die Wählerstimmen“, sagt er. „Das ist das Kalkül der Großparteien. Das Schicksal der Menschen ist denen doch völlig egal. Heute würde ich höchstens den Grünen und den Kommunisten noch zutrauen, dass sie ihren Prinzipien treu bleiben.“ Prinzipiell unterstützt Pucher die Trennung von Kirche und Staat. Die Politik würde aber gut daran tun, sich zumindest in moralischen Fragen an der Religion zu orientieren, sagt er. Auch in der EU geht Pucher die Trennung von Kirche und Staat viel zu weit. „Im Vertrag von Lissabon wird auf Religion mit keinem Wort eingegangen. Das ist nicht nur eine Schande, sondern Realitätsverweigerung. Was wäre denn Europa, wenn man das Christentum weglässt?“

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VI. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Christine Mayr-Lumetzberger, Priesterin

Frauen dürfen nicht zu katholischen Priesterinnen geweiht werden. So klar und einfach ist der Standpunkt der Amtskirche. Trotzdem gibt es sie, die Priesterinnen – wenn auch ohne Anerkennung durch den Vatikan. Die Oberösterreicherin Christine Mayr-Lumetzberger ist eine von ihnen. Sie ließ sich am 29. Juni 2006 zusammen mit sechs weiteren Frauen zur Priesterin weihen und wurde daraufhin exkommuniziert. „Das ist kein Ausschluss aus der katholischen Kirche“, betont sie, „sondern eine Beugestrafe.“ Nur hat Mayr-Lumetzberger nicht vor, sich zu beugen. Im Gegenteil, sie will weitermachen, bis die Kirche sich beugt und sie und die anderen Priesterinnen anerkennt. Mittlerweile hat sie sich sogar zur Bischöfin weihen lassen. Man könne nur Veränderungen herbeiführen, indem man Fakten setzt, sagt sie. „Mit Reden, Büchern und Petitionen verändert man nichts. Die normative Kraft des Faktischen ist die einzige Möglichkeit.“ Dass die Kirche sich in der Frage der Frauenweihe bisher nicht bewegt hat, stört Mayr-Lumetzberger nicht. Sie ist überzeugt davon, dass Priesterinnen irgendwann zur Normalität werden, wenn sie nur lange genug durchhalten.

Das ist auch der Grund, warum sie katholisch geblieben ist, obwohl der Übertritt in eine andere Konfession der einfachere Weg gewesen wäre. „Die eigene Herkunft hat man einfach, ob man sie liebt oder nicht. Mit der Kirche ist es genauso. Wenn man in der Kirche etwas verändern will, muss man dabei bleiben“, sagt sie. Verändern müsste man ihrer Meinung nach vieles. Mit einigen ihrer Forderungen kommt die Bischöfin, die die Kirche retten will, sogar den Betreibern des Volksbegehrens nahe, die die Kirche zurückstutzen wollen. Auch sie lässt kein gutes Haar am Umgang mit den Missbrauchsopfern.

VII. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Sepp Rothwangl, Mitglied der Betroffeneninitiative

„Zuallererst möchte ich eines klarstellen: Ich lasse mich nicht als ‚Opfer‘ der Kirche bezeichnen. Als solches würde ich mich nämlich von dieser Institution vereinnahmt fühlen. Im religiösen Kontext hat dieses Wort eine eigene Bedeutung, es geht einher mit dem Gedanken eines blökenden Opferlammes. Damit will ich nichts zu tun haben“, sagt Sepp Rothwangl. Der pensionierte Pharmareferent besitzt eine Waldwirtschaft in der Steiermark und schreibt astronomische Bücher. Seine Hauptberufung sieht Roth­wangl allerdings in seiner Tätigkeit als Mitinitiator der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt. „Ich will, dass dieses verlogene System Kirche zusammenbricht“, sagt er.

Im Alter von elf Jahren wurde Roth­wangl im Internat des Grazer Marieninstituts von einem pädophilen Präfekten missbraucht. „Ich habe damals dem Direktor des Internats darüber Bericht erstattet, doch dieser maßregelte mich bloß und sagte, darüber hätte ich zu schweigen.“ Rothwangl schwieg. Viele Jahre lang. Mitte der Neunziger beging er einen Selbstmordversuch. Die Nahtoderfahrung rüttelte Rothwangl auf. „Ich nahm mein Erstaunen darüber, doch noch am Leben zu sein, zum Anlass, kindliche Erlebnisse aufzuarbeiten.“

Bei der Klasnic-Kommission hat er niemals angeklopft. Auch er sieht in der Kommission nur einen Schutzschirm für die Täter. „Ich würde es als entwürdigend empfinden, mich bei dieser Organisation um Almosen anzustellen.“


VIII. Jesus begegnet den weinenden Frauen

Sieglinde Rosenberger, Politikwissenschaftlerin

Es war ein Skandal, als Sieglinde Rosenberger 1983 aus der Kirche austrat. Zumindest in ihrem kleinen Heimatort Eitzing in Oberösterreich. „Die Großmutter hat die Mitteilung bekommen, dass ich ausgetreten bin. Der Pfarrer auch. Das war für die Familie ein Stück Stigmatisierung“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Damals war sie Studentin in Innsbruck – Anlass für ihren Austritt waren der Papstbesuch und die Unterdrückung der Frauen durch die Kirche. „Dass mein Austrittsbescheid auch ans Pfarramt geschickt wurde, sagt eigentlich alles über die Nähe zwischen Staat und Kirche in Österreich. Das ging ganz automatisch.“

Durch die Feminismusbewegung hat die Kirche, die sich in dieser Sache keinen Zentimeter bewegt hat, schon an Einfluss verloren. Als Machtfaktor ist sie dennoch nicht zu unterschätzen, meint Rosenberger. Die Kirche habe heute noch entscheidenden Einfluss auf die Politik, vor allem über die ÖVP. „Es ist statistisch belegt, dass ÖVP-Politiker deutlich häufiger in die Kirche gehen als andere. Bei der SPÖ gibt es dafür mehr Atheisten, als man glauben sollte.“ Den christlichen Kern der ÖVP bildet der Cartellverband – ein Männerbund, aus dem eine große Zahl der schwarzen Spitzenpolitiker kommt. Auch der neue ÖVP-Chef Michael Spindelegger stammt aus dieser Kaderschmiede. „Nur zwei ÖVP-Obmänner seit 1945 kamen nicht aus dem Cartellverband – und wer aus dem Cartellverband kommt, macht verlässlich Politik für die Kirche“, sagt Rosenberger.

IX. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Martin Jäggle, Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Wien

„Was tatsächlich stimmt, ist, dass die Kirche die Professoren bestätigen muss. Sie darf aber weder jemanden vorschlagen noch jemanden einstellen. Daraus eine Kontrolle der Fakultäten abzuleiten ist vollkommen überzogen“, sagt der Religionspädagoge Martin Jäggle. Der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien hat angesichts des Volksbegehrens keine Angst um seinen Job – vor allem, weil er die meisten Kritikpunkte des Volksbegehrens von vornherein als realitätsfern einstuft: Kein theologischer Lehrplan sei vom Vatikan erstellt worden, wie dort behauptet werde. „Weder wäre das realisierbar, noch würde sich eine Universität das jemals gefallen lassen. So etwas zu schreiben zeugt von blanker Unkenntnis der Realität.“
Der Bezug zum Vatikan, der von den Kritikern immer wieder hergestellt werde, ist für Jäggle „sachlich unzutreffend und sagt mehr über die Intention der Autoren aus als über die Realität“. Auch beim Religionsunterricht handelt es sich für ihn nicht um ein Privileg, sondern um eine Verpflichtung, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in der österreichischen Verfassung festgeschrieben sei. „Die Alternative ist, dass die religiöse Bildung vollkommen in den privaten Bereich zurückgedrängt wird und dort ohne jegliche Kontrolle passiert.“

Jäggles Argumentation zu den anderen Punkten des Volksbegehrens hört sich ähnlich an. „Alles, was irgendwie gesetzlich geregelt ist, wird hier als Privileg dargestellt. Ich kann aber keine Privilegien erkennen“, sagt er. Auch nicht im finanziellen Bereich: „Die finanziellen Vorteile, die die Kirche zum Beispiel durch die Absetzbarkeit von Kirchenbeiträgen hat, werden durch die Ausgaben für die denkmalgeschützten Bauten, die sie für den Staat erhält, mindestens ausgeglichen. Bei dem Volksbegehren geht es ja nicht darum, für weltanschauliche Gruppierungen einen gesellschaftlichen Status zu erreichen, sondern bloß darum, den religiösen Gruppierungen diesen wegzunehmen“, meint er. Dadurch würde die Gesellschaft nichts gewinnen, sondern bloß verlieren. Und alles mit dem Holzhammer „Privileg“.


X. Jesus wird seiner Kleider beraubt

Richard Potz, Rechtswissenschaftler

Das Verhältnis von Staat und Kirche ist die Lebensaufgabe von Richard Potz. Als Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien ist er der Experte schlechthin für Staatskirchenverträge wie das österreichische Konkordat – und für die Kritik daran. „Die unreflektierte Kritik am Konkordat kommt immer wieder“, sagt er. Dabei könne das Konkordat als völkerrechtlicher Vertrag gar nicht einfach so aufgelöst werden, sondern nur im gegenseitigen Einverständnis oder wenn eine Partei der anderen schwerwiegende Verfehlungen vorwerfen kann. Würde Österreich den Vertrag mit dem Vatikan dennoch ohne Grund kündigen, wäre laut Potz eine Sandkastenreaktion die Folge: „Nimmst du mir das Schauferl weg, dann nehm’ ich dir das Küberl weg.“

Dazu bestehe aber auch gar kein Anlass: „Der Konkordatsvertrag schafft in gewisser Weise einen Präzedenzfall für alle anderen Kirchen und Religionsgesellschaften, die Anspruch auf die gleichen Rechte wie die römisch-katholische Kirche haben.“ Der europaweit als vorbildlich angesehene Umgang Österreichs mit dem Islam steht beispielsweise in direktem Zusammenhang mit dem Konkordat. Dass nichtreligiöse Weltanschauungen hier ausgeschlossen werden, hält aber auch Potz für ein Problem. „Zum Beispiel werden im Privatschulgesetz nichtkonfessionelle Privatschulen gegenüber den konfessionellen eindeutig diskriminiert.“

Die Ausbildung von Theologen durch den Staat sieht Potz – ähnlich wie Jäggle – nicht als Belastung, sondern als notwendige Kontrolle. Der Staat habe ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Seelsorger nach Regeln ausgebildet werden, die dem allgemeinen universitären Niveau entsprechen. „Da ergibt sich eine komische Allianz zwischen Atheisten und den ganz konservativen Schichten innerhalb der katholischen Kirche. Auch die wollen keine staatliche Unterstützung der Theologenausbildung, weil sie dadurch die Inhalte allein bestimmen könnten.“


XI. Jesus wird ans Kreuz geschlagen

Bernd-Christian Funk, Jurist

„Dieses Urteil ist ein klares Zeichen einer starken Unsicherheit des Verfassungsgerichtshofs“, sagt Bernd-Christian Funk – und dann lässt er sich die Formulierung noch einmal durch den Kopf gehen, überlegt, ob ein Jurist das so sagen kann, nickt mit dem Kopf und setzt fort: „Man hat sich offensichtlich sehr schwergetan zu begründen, warum man bei dieser Regelung keinen Eingriff in die negative Religionsfreiheit sieht.“ Funk spricht vom „Kreuz im Klassenzimmer“-Urteil des Verfassungsgerichtshofs im März. Niederösterreichische Eltern hatten Beschwerde eingelegt, weil sie ihre Freiheit auf Nichtbeachtung der Religionen – ihre „negative Religionsfreiheit“ – durch die Existenz eines Kreuzes in Kindergärten und Klassenzimmern beeinträchtigt sahen. Die Kirche hat gewonnen. Vorerst.

Denn obwohl der Verfassungsgerichtshof nicht verrät, welche seiner Mitglieder für und welche gegen einen Entscheid gestimmt haben, sagt Funk: „Die Beurteilung liest sich wie ein Krimi. Man kann förmlich herauslesen, dass man sich nicht einig war, dass das Urteil auch hätte anders ausfallen können.“ Beim jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das die Rechtmäßigkeit des Kreuzes in italienischen Schulen bestätigte, sagten die Richter sogar ausdrücklich dazu, dass das Urteil auch anders ausfallen hätte können. Ist es aber nicht – und deswegen ist die symbolisch unheimlich wichtige Debatte um das Kreuz im Klassenzimmer noch lange nicht vorbei. Denn, so Funk: „Das jüngste Urteil lässt die sonst beim Verfassungsgerichtshof anzutreffende juristische Rationalität vermissen.“

XII. Jesus stirbt am Kreuz

Klaus Küng, Bischof von St. Pölten

Das Kreuz im Klassenzimmer einer staatlichen Schule soll ein Problem sein? Das sieht der konservative Bischof von St. Pölten gänzlich anders: „Das Zeichen des Kreuzes erinnert an Gott. Und solange ein Großteil der Schüler christlich ist, sehe ich keinen Grund, es abzuhängen.“ Der studierte Arzt Klaus Küng ist seit 1961 Opus-Dei-Mitglied, seit 1970 Priester und seit 2004 Bischof in der niederösterreichischen Landeshauptstadt, wo er den lange umstrittenen Kurt Krenn beerbte. Der war einst über einen Skandal gestolpert. Unter seiner Regentschaft waren im Priesterseminar von St. Pölten kinderpornografische Fotos aus dem Internet heruntergeladen worden. Krenn tat die Vorwürfe zuerst als „Bubendummheiten“ ab, musste dann aber doch zurücktreten. Der Vorarlberger Küng wurde schon vor Krenns Rücktritt vom Vatikan zur Beobachtung nach St. Pölten geschickt – und übernahm dann das Amt.

Vom neuen Kirchenvolksbegehren hält Küng sehr wenig: „Es enthält eine ganze Reihe von Halbwahrheiten, Verdrehungen und Falschheiten. Ich hoffe, dass der Großteil der Menschen so viel Durchblick hat, das wahrzunehmen.“ Die angeblichen Privilegien der Kirche sieht Küng nicht. Er verweist auf die vielen Dinge, die von der Kirche für die Gesellschaft erledigt werden. „Caritas, Schule, Jugendarbeit, Familienbetreuung, Krankenwesen, Altersvorsorge, Entwicklungshilfe“, zählt Küng auf. Auch eine aktuelle Umfrage, der zufolge weniger als die Hälfte der Österreicher noch an einen Gott glauben, lässt der Bischof nicht gelten: „Viele Menschen lassen sich von der Konsum- und Fungesellschaft einfangen. Der Fortschrittsglaube nimmt überhand – aber werden die Menschen dadurch glücklich? Mein Eindruck ist, dass sehr viele Menschen eine Sehnsucht nach dem Großen, Guten, Erfüllenden haben – auch wenn sie angeben, nicht an Gott zu glauben.“

Zwischen Zölibat und Missbrauchsfällen in der Kirche sieht Küng keinen Zusammenhang. „Der Zölibat ist am schrecklichen Missbrauch von Kindern ebenso wenig schuld, wie die Ehe daran schuld ist – und Sie werden auch nicht die Ehe abschaffen, bloß weil ein Großteil der Missbrauchsfälle im häuslichen Umfeld geschieht.“ Und auch die Kritik an der Klasnic-Kommission ist für den St. Pöltner Bischof nicht nachvollziehbar. Es handle sich dabei keineswegs um eine „Täterschutzkommission“, wie die Kritiker sie nennen: „Das ist natürlich ein völliger Unfug. Aus meinen monatelangen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Kommission Klasnic kann ich Ihnen sagen, daß die Mitglieder der Opferschutzanwaltschaft sich ausschließlich mit den Opfern befassen und der Täterstandpunkt überhaupt erst nach der Entscheidung durch die Kommission, an die wir uns gebunden fühlen, erhoben wird.“

XIII. Jesus wird vom Kreuz genommen

Rudolf Schermann, Priester und Herausgeber von „Kirche In“

Manche katholische Priester sehen aber durchaus einen Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch in der Kirche: „Ja. Das wird zwar immer negiert, aber es hängt sehr wohl zusammen“, sagt Rudolf Schermann. Der 79-Jährige wurde in Ungarn geboren, flüchtete 1956 als Pfarrer nach Österreich und kämpft mit seiner Zeitung Kirche In für eine liberalere Kirche. Seit 1987. Auch Kirche In begann als Unterschriftenaktion: als Kirchen-interne (daher der Name) Protestliste gegen die Ernennung von Kurt Krenn zum Bischof. Mit der Frage der Sexualität in der Kirche wurde Schermann schon früh konfrontiert: „Ich war von meinem zwölften Lebensjahr an im Knabenseminar kaserniert. Dann im Priesterseminar. Während dieser Zeit entwickelt sich die Sexualität – aber es fehlt der Gegenpol, die Mädchen. Da hat sich unter den Studenten oft eine homoerotische Atmosphäre aufgeladen. Und es kam zu Liebesfreundschaften unter Studenten.“ Just solche Affären kosteten Schermanns Lieblingsgegner Kurt Krenn am Ende seinen Job – die Monatszeitung Kirche In gibt es noch immer. Den Zölibat allerdings auch.

Schermann glaubt nicht, dass es beim Zölibat nur um die Beibehaltung einer verstaubten Sexualmoral geht. Vielmehr sieht er darin einen politischen Kampf innerhalb der Kirche. Der Zölibat ist ähnlich wie das Kreuz im Klassenzimmer zu einem symbolischen Schauplatz geworden. „Die theologische Argumentation ist nur vorgeschoben“, sagt Schermann. „In Wahrheit steckt dahinter die Befürchtung, dass der konservativste Teil der Kirche sich abspaltet, wenn der Zölibat fällt. Außerdem ist die Kirche durch den Zölibat ein Sammelbecken von Homosexuellen. Und da gibt es eine ganze Reihe Amtsträger, die persönlich gar nicht daran interessiert sind, den Zölibat abzuschaffen.“ Nur wirklich tiefgreifende Änderungen würden helfen: „Es müsste heute zu radikalen Reformen kommen. Aber nicht einmal ein Blutverlust von fast 90.000 Austritten bringt die blind gewordenen Führer dazu aufzuwachen – für mich ist das Blasphemie, ein Schlag gegen Gott und Jesus Christus.“


XIV. Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt

Herbert Kohlmaier, Ex-Politiker & Aktivist

Herbert Kohlmaier könnte es sich eigentlich gutgehen lassen, eine ruhige, zurückgezogene Pension in seinem Haus in Wien-Mauer genießen und sich einem seiner Hobbys, der Astrologie, widmen. Doch das will er nicht. Vor zwei Jahren hat der ehemalige ÖVP-Generalsekretär, ÖAAB-Obmann und Volksanwalt zusammen mit einigen anderen ehemaligen ÖVP-Granden die „Laieninitiative“ gegründet. Seither investiert er einen Großteil seiner Zeit in den Kampf für Reformen innerhalb der katholischen Kirche – bisher erfolglos. Kohlmaier hat eigentlich genug von der Kirche, oder besser: von der Führungsetage der Kirche. Während die Laieninitiative ursprünglich das Gespräch mit den Bischöfen in Österreich suchen wollte, hat sie jetzt einen Kurswechsel vollzogen. Das bisherige Bemühen von Reformorganisationen auf der ganzen Welt sei zum Scheitern verurteilt, stellt Kohlmaier enttäuscht fest. Die Initiative werde deshalb künftig einen anderen Zugang wählen – einen rebellischen, wenn man so will.

„Das Bischofsamt ist heute obsolet“, sagt Kohlmaier, „die Bischöfe sind nichts anderes mehr als Filialleiter von Rom, die das zu machen haben, was dort gesagt wird.“ Die Spaltung zwischen der Zen­trale im Vatikan und den Gläubigen ist in Kohlmaiers Augen längst passiert. „Glauben Sie, dass irgendjemand noch ernst nimmt, was in irgendwelchen lateinischen Dokumenten vom Vatikan hinausgeblasen wird?“, fragt er. Die Laieninitiative wolle deshalb jene Menschen, die der katholischen Kirche nach wie vor die Treue halten, in ihrem individuellen Christsein unterstützen. „Wir stellen infrage, ob es überhaupt einer Priesterweihe bedarf, um geistliche Handlungen zu leiten. Wir wollen Menschen, die nicht im Priesterstand sind, dazu ermutigen, im Sinne des allgemeinen Priestertums zu handeln.“

Kohlmaiers Laieninitiative hat mit dem Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien kaum etwas gemein. Er will die Kirche retten, die Initiatoren des Volksbegehrens wollen sie aus der Öffentlichkeit verbannen. Beide Gruppen offenbaren jedoch das große Problem, das die römisch-katholische Kirche 2011 hat: Ihre Führungsetage hat kaum noch Bezug zur Gesellschaft – weder zu den religionsfernen oder -kritischen Schichten noch zum Großteil ihrer eigenen Schäfchen. „So, wie die Kirche heute tickt, ist ihr Überleben sicher nicht selbstverständlich“, sagt Kohlmaier.

Mit der „grundsätzlich religionsfeindlichen“ Herangehensweise des Volksbegehrens kann Kohlmaier aber nichts anfangen. „Der Atheismus ist weder eine Massenbewegung, noch bewegt sich die Gesellschaft dort hin. Die Religiosität ist nach wie vor da, sie ist nur nicht mehr auf die etablierten Kirchen bezogen“, sagt Kohlmaier. Die Statistik gibt ihm recht. Die Europäische Wertestudie 2008, die bisher letzte ihrer Art, wies für Österreich gerade einmal vier Prozent bekennende Atheisten aus. Dagegen bezeichneten sich fast achtzig Prozent als religiös. Andere Studien schätzen die Religiosität der Österreicher zwar wesentlich geringer ein, der enorme Zulauf, den andere christliche Konfessionen und esoterische Angebote erleben, lässt ein komplettes Aussterben der Religion in Österreich aber als höchst unwahrscheinlich erscheinen. Die katholische Kirche muss sich angesichts dessen wohl kaum vor den Atheisten fürchten. Sie sollte sich aber Sorgen machen. Denn auch ihre eigenen Schäfchen beginnen langsam, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen.

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