Inhalt

zur Navigation

Antihelden

Was vor fünfzig Jahren als Schund die Kinder verdarb, feiert heute als Graphic Novel einen kulturellen Aufstieg. Die heimische Comic-Szene nagt dennoch am Hungertuch – und lebt gut damit.

Text: Marina Wetzlmaier
Illustrationen: Nina Dietrich, Jordan Strobl, Heinz Wolf
Comics haben es in Österreich lange nicht in die breite Öffentlichkeit geschafft. Bis ausgerechnet der FPÖ mit einem einzigen Heft der Coup gelang – und alle plötzlich vom „HC-Man“ sprachen. Vor der EU-Wahl 2009 sagte der FPÖ-Superheld in „Der blaue Planet“ Brüssel den Kampf an. Als Aufklärungslektüre zum Thema EU wurden 500.000 Stück an Jungwähler ab 16 verschickt. Darauf reagierte wiederum die heimische Zeichnerszene. „Die FPÖ missbrauchte den Comic zu Propagandazwecken“, sagt Harald Havas, bis zu dessen Einstellung 1996 Chefredakteur des Magazins Comic-Forum. Es galt, den Ruf des Comics zu verteidigen.

comic1

„Wir lassen uns unser Medium nicht wegnehmen“, lautete das Motto, unter dem schließlich die Website „Comics gegen Rechts“ entstand. Die Idee hatte Havas zwar schon vorher, aber der „HC-Man“ gab den entscheidenden Anstoß. Das FPÖ-Heftchen selbst sei allerdings ein „Riesenflop“ gewesen, sagt Havas: „Inhaltlich ist die Geschichte fad, und wenn man Comics nicht mag, wirft man es sowieso gleich weg.“

Das ist wohl der Zugang, den ein Großteil der Österreicher zu Comics hat. Ebenso ist meist unbekannt, dass es neben „Asterix“ und „Micky Maus“ auch eine heimische Comic-Produktion gibt. „Die Comic-Szene macht sehr viel“, sagt der Zeichner Heinz Wolf vom Kabinett für Wort und Bild. „Nur bemerkt man es nicht.“ Langsam soll sich das ändern. Ein aktueller Versuch, Comics in die Öffentlichkeit zu tragen, ist das Linzer NextComic-Festival, das im März zum dritten Mal stattfand. Neben internationalen Größen und Geheimtipps tummelten sich hier auch die Aushängeschilder der heimischen Produktion: Die Wiener Murmelcolmics und Mixer Comics waren ebenso vertreten wie das Tonto-Studio aus Graz. Zwar spürt Festivalleiter Gottfried Gusenbauer in Österreich eine „Anti-Comic-Kultur“. Anders als viele Zeichner sieht er die Situation des heimischen Comics aber gar nicht so trostlos. Mit seinem Festival will er vermitteln, dass Comic keine „Geheimkunst“ ist, sondern Alltag. Schließlich sei „eine Ikea-Anleitung auch nichts anderes als ein Comic“.

Bewegungen auf dem österreichischen Verlagsmarkt bestätigen Gusenbauers Vermutung. Die Verlage Luftschacht und Milena haben heimische Comics in ihr Programm aufgenommen, mit Pictopia in Wien gibt es einen professionellen Vertrieb. Auch Buchhandlungen führen zunehmend Comics, allerdings meist unter der Bezeichnung „Graphic Novel“ – ein Versuch, dem Medium mehr Ernsthaftigkeit zu verleihen. Als Graphic Novels lassen sich Comics besser vermarkten und werden häufiger rezensiert. Der Zeichner Nicolas Mahler sieht das eher zynisch: „Kulturjournalisten müssen sich jetzt nicht mehr rechtfertigen, über welchen Unsinn sie schreiben.“

comic2

Mahler kann es sich leisten, gleichzeitig hat sein Urteil Gewicht: Der 42-Jährige ist mittlerweile einer der wenigen österreichischen Zeichner, die international bekannt sind. Und das, obwohl er selbst zweimal an den heimischen Kunsthochschulen abgelehnt wurde. „Man sagte mir, ich würde Low Art machen, dass sie aber nur High Art fördern würden“, sagt Mahler. „Das ärgert mich bis heute.“ Seine hauptsächlich autobiografischen Comics erzählen deshalb von den Neurosen und kleinen Dramen der Menschen ebenso wie von seinen Erfahrungen mit dem Kunstbetrieb. Einen Verleger für seine Geschichten fand er erst in Frankreich, dort komme die österreichische Grundstimmung in seinen Geschichten gut an. „Das Langsame, Lapidare – das finden die Franzosen lustig.“ Erst als er 2006 den deutschen Max-und-Moritz-Preis erhielt (und auch noch 2008 und 2010), nahmen ihn die heimischen Medien wahr und feierten ihn als österreichischen Comic-Export. In der internationalen Szene gilt er als jemand, der in seinem Herkunftsland sicher auch noch entdeckt wird.

2003 hat Mahler gemeinsam mit Heinz Wolf und Rudi Klein das Kabinett für Wort und Bild gegründet, gemeinsam betreiben sie im Wiener Museumsquartier die Kabinett-Passage. Deren Herzstück bildet der Comic-Automat, eine prototypische Vertriebsanlage für heimische Comics. Durch die Passage bläst heftig der Wind, als Heinz Wolf aus seinem gelben Rucksack einen Stapel kartonierter Hefte herausholt. „Jetzt geht es ja noch“, sagt der 52-Jährige, während er den Automaten mit Heften befüllt. „Aber wenn es richtig kalt ist, friert man an dem Metall fast an.“
Er sperrt den Comic-Automaten auf, erklärt, wie die Zwei-Euro-Münze in den Auffangbecher gelangt, rüttelt an einem der Türchen, nimmt ein Heft heraus und fährt prüfend mit der Hand über das Cover. „Es kommt wohl doch etwas Feuchtigkeit durch.“ Ungefähr alle zwei Monate kann man sich hier einen neuen Comic abholen, jedes Heft wird von einem anderen Künstler gestaltet. „Der Automat ist die einzige funktionierende Vertriebsart für Comics“, sagt Wolf. So könnten immerhin die Produktionskosten gedeckt werden. Und die müssen ohnehin so niedrig wie möglich gehalten werden: Gedruckt wird in Polen und in niedriger Auflage. Die Zeichner selbst bekommen kein Geld, dafür aber hundert Belegexemplare. „Sie wissen das und verstehen, was wir hier machen“, sagt Wolf.

comic3

Auch Mixer Comics vertreibt seine Werke über Automaten. Drei davon sind über Wien verteilt, einer hängt in Berlin. Hannes Schaidreiter nennt es „das zweite Leben der Tic-Tac-Automaten“: Früher spuckten sie Süßigkeiten aus, heute sind es Mini-Comics. Spezialisiert hat sich Mixer auf Comics in Schachteln. Und hat dabei eine Sensation im Programm: Das Mixer-Werk „Amöben mögen“ gilt inoffiziell als der kleinste Comic der Welt. Gezeichnet hat es Nina Dietrich, die in ihren Geschichten am liebsten Gegenstände sprechen lässt: „Ich zeichne alles, was Augen hat“, sagt Dietrich. „Und wenn es noch keine Augen hat, kriegt es welche.“ Studiert hat die Mixer-Mitgründerin Grafikdesign, heute lehrt sie Medienillustration an der Werbeakademie des WIFI in Wien. Davor hat sie auch schon mal gerne die Geschechterrollen vertauscht und mit ihrem Western-Comic „Rough Maid“ eine Art weiblichen „Lucky Luke“ kreiert.

Dass man mit derartigen Arbeiten ein Nischenprodukt bleibt, stört die Zeichner selbst wenig. „Die Nische muss man sich erst einmal schaffen“, sagt Mixer-Mitgründer Hannes Schaidreiter. „Wir sind immerhin so bekannt wie der weltbeste Federballspieler!“ Eine Comic-Industrie wie in Frankreich wünscht sich ohnehin niemand wirklich. Dort kommen zwar die großen Werke heraus, dort liegt die Heimat von „Asterix“ und „Lucky Luke“. Wer aber in Frankreich mit Zeichnen Geld verdienen will, muss sich an die Vorgaben der großen Verlage halten. Eine kleine, unbemerkte Szene wie in Österreich hat dagegen den Vorteil, unabhängig zu sein. Nach dem Motto „Es interessiert sich eh niemand für uns“ machen die Zeichner erst recht das, was sie wollen.

Die Überschaubarkeit der heimischen Comic-Szene sieht Nicolas Mahler sogar als ihren Reiz. Es sei ein netter Betrieb und im Grunde ein „Auffangbecken für Wahnsinnige“. Die meisten arbeiten als Illustratoren, Grafiker, lehren an Kunstschulen oder nehmen Werbeaufträge an. Andere schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Ihre Comics veröffentlichen sie aus Mangel an Verlagen selbst und auf eigene Kosten. „Wir wollen eh nicht reich werden“, sagt Heinz Wolf ironisch. „Es interessiert sich halt niemand für uns.“ Denn die Comic-Künstler teilen großteils das gleiche Schicksal: In Österreich kann vom Zeichnen alleine niemand leben.

comic4

Selbst verdient Heinz Wolf sein Geld mit dem Zeichnen von Storyboards und Werbeillustrationen, so wie der Großteil der heimischen Comic-Zeichner. Die Kunst entsteht nebenbei und meist alleine – aufgefangen in einer der vielen Parallelszenen, die die österreichische Comic-Szene ausmachen. „Das Zeichnen ist im Grunde ein einsamer Job“, sagt Wolf. Hefte entstehen dann aber notgedrungen meist im Kollektiv. Denn auch international ist die Szene klein und auf Festivals wie im schweizerischen Luzern und dem französischen Angoulème beschränkt. „Es gibt keinen österreichischen Mainstream“, sagt Wolf. „Aber der Mainstream interessiert uns auch nicht.“ Vielleicht gerade deshalb kennt in der österreichischen Comic-Welt fast jeder jeden.

„Zeichnen ist harte Arbeit, langwierig und schlecht bezahlt“, sagt Walter Fröhlich.Man müsse diszipliniert dabeisitzen und Seite für Seite zeichnen. „Monatelang dieselben dummen Gesichter.“ Gemeinsam mit Robert Maresch gibt Fröhlich das „Kriminal-Journal“ heraus, eine Heftreihe, in der verschiedene Zeichner Geschichten über die Wiener Unterwelt erzählen. Auch das „Journal“ ist mit seiner Auflage von 1.000 Stück ein Liebhaberprojekt. „Wir machen es, weil wir da zeichnen können, was wir wollen“, sagt Fröhlich. „Hässliches, Schönes, Dummes, auch Mundartgeschichten.“

Sein Büro befindet sich im obersten Stock eines Mietshauses in Ottakring, über eine kleine Stiege gelangt man von der Wohnküche hinauf auf eine Galerie zu seinem Arbeitsbereich. „Mein Plan, vom Zeichnen leben zu können, ist mehrmals gescheitert“, sagt Fröhlich. „Am meisten bekommt man noch für Werbecomics.“ Berufe hatte er viele: Handwerker, Finanzbeamter, Buchhändler, Grafiker. Mittlerweile veröffentlicht der 44-Jährige Comic-Bücher und lehrt an der Kunstschule Wien im Studienfach „Comic und Animation“. Bis zur Einrichtung des gleichnamigen Diplomstudiengangs im Jahr 2009 gab es in Österreich keine akademische Comic-Ausbildung.

Comics werden meist belächelt, weil die Leute wenig darüber wissen“, sagt Heinz Wolf. Sie würden häufig mit Komik verwechselt, gelten als triviale bunte Heftchen, als Literatur für Analphabeten. Immer noch haftet ihnen der Ruf von Schmutz und Schund an. „Es gab eine Hatz gegen Comics“, sagt Comic-Experte Harald Havas. Als in den Fünfzigerjahren amerikanische Comics zum Massenmedium wurden, schrien die Jugendschützer auf. Nicht nur im deutschsprachigen Raum – auch in den USA, wo die aufkommenden Horrorgeschichten ein Skandal waren. Frankreich führte Importverbote für amerikanische Comics ein – natürlich weniger aus moralischen Gründen, sondern um die eigene Produktion zu fördern. In Österreich leitete der tonangebende Buchklub der Jugend eine regelrechte Verfolgungskampagne ein. Comics seien „unterwertige Lektüre“, würden Analphabetismus und Gewalt fördern. „Man ging mit Polizeimethoden vor“, sagt Havas. An Schulen gab es Umtauschaktionen, Verbrennungen, Unterschriften wurden gesammelt. Diavorträge sollten zeigen, wie Comics die Kinder verderben. Erst in den Siebzigerjahren, als mit dem Fernsehen ein neues Feindbild auftauchte, kamen die Comics langsam aus der Schundecke heraus.

Der Umweg über das Ausland ist dennoch immer noch nötig. Die Grazer Gruppe Tonto hat gerade durch die Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern Erfolg. Dazu zählt etwa der serbische Zeichner Alexandar Zograf, der auch schon in der Kabinett-Passage im Museumsquartier veröffentlichte. „Tonto wurde nicht über den deutschsprachigen Raum forciert, sondern über den Balkan“, sagt Helmut Kaplan. Es ist eine Geschichte, die er gerne erzählt. Der 44-Jährige ist Mitbegründer von Tonto, das in den Neunzigerjahren noch ein reines Musiklabel war. 2000 wurde auf Initiative von Edda Strobl eine Plattform für experimentelles Comic eingerichtet, seither veröffentlicht Tonto auch eigene Hefte. Im Grazer Forum Stadtpark hatte die Gruppe, zu der auch Michael Jordan, Norbert Gmeindl und Clemens Stecher gehören, mehrere Ausstellungen. Nachdem sie 2003 und 2004 selbst Comic-Festivals organisierten, fahren sie heute lieber auf die Feste anderer, anstatt arbeits- und zeitaufwendig eigene Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Lieber konzentrieren sie sich auf ihre künstlerische Tätigkeit.

Von anderen österreichischen Gruppen unterscheidet sich Tonto vor allem durch die Arbeitsweise. Statt im stillen Kämmerchen zu kritzeln, suchen die Mitglieder das „kollektive Erlebnis“. In der Gruppe wird improvisiert, Zeichnungen sind „Material“, das zu Collagen weiterverarbeitet und in neue Zusammenhänge gesetzt wird. Da hilft es, dass die Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturbereichen kommen: Edda Strobl etwa arbeitet in der bildenden Kunst und produziert Siebdrucke, Helmut Kaplan beschäftigt sich mit experimenteller Musik. Das Besondere an ihren Heften ist, dass die einzelnen Beiträge in ihrer Anordnung wieder eine Geschichte ergeben. Für das kommende Heft „Noise“ über die Geschichte der elektronischen Musik hat Kaplan fünf Jahre lang recherchiert. „Es ist ein mehrdimensionales Heft“, sagt er und zeigt, wie sich die Seiten falten und neu kombinieren lassen.

Dass mit Edda Strobl eine Frau Tonto mitgegründet hat, ist gar nicht so untypisch für die heimische Szene. „Es gibt nicht wenige Zeichnerinnen, aber sie tragen es weniger in die Öffentlichkeit“, sagt Verena Weißenböck. Unter ihrem Kürzel „Verena W“ spielt die 37-Jährige selbst gerne mit Klischees, gemeinsam mit Julia Kläring hat sie durch die Heftreihe „Suppenheldinnen“ eine Gegenbewegung ausgelöst: gegen klassische Superhelden und Mainstreamcomics. Statt Abenteuergeschichten gab es Antiheldinnen und Alltagsdramen. „Alles andere ist langweilig“, sagt Weißenböck. Zwar konnten bei „Suppenheldinnen“ auch Männer mitzeichnen, hauptsächlich waren aber Frauen eingeladen. Die „Suppenheldinnen“ musste Weißenböck aus Zeitmangel mittlerweile wieder einstellen, veröffentlicht aber weiterhin bei Murmel Comics.

Dessen Philosophie lautet: Partizipation statt Qualitätsterror. Jeder, der will, kann seine Comics einsenden und wird veröffentlicht. Gut oder Schlecht gibt es nicht. Mit einer Auflage von 150 Heften sucht Murmel nicht unbedingt die große Öffentlichkeit. Mehr Öffentlichkeit sei anstrengend, sagen die Betreiber: zu viel Aufwand für zu wenig Geld und Anerkennung. Dafür wird für jedes fertige Heft eine Release-Party geschmissen.

Die österreichische Kulturlandschaft hat das noch nicht wirklich mitbekommen – trotz akademischer Institutionalisierung und der internationalen Erfolge eines Nicolas Mahler. Immerhin verleiht das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur seit 2008 einen Förderpreis für Comic und Karikatur. Mahler und Thomas Kriebaum waren die bisherigen Preisträger. Aber für einzelne Projekte gibt es keine Förderungen. Und auch im etablierten Kunstbetrieb tut sich der Comic schwer: Heimische Galerien und Museen haben noch eine Scheu, sich damit zu beschäftigen.

„Als Comic-Künstler muss man sich über die Landesgrenzen hinweg orientieren. Schauen, was sich im Ausland tut“, sagt Heinz Wolf. „Klar kann man jammern, wie schlimm es bei uns ist. Aber dann ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen.“ Der Zeichner des FPÖ-Comics hat es immerhin geschafft. Zwar wird er im Heft nicht genannt, es sei aber sicher Horst Grimm, ein gebürtiger Kärntner, der heute in Deutschland lebt, sagt Comic-Experte Harald Havas. Das sei am längst überholten Siebzigerjahre­stil sofort zu erkennen.

Teilen



Navigation

zum Inhalt

  • Aktuelle Ausgabe
  • Bisher erschienen
  • Über Datum
  • Events
  • Wo gibts Datum
  • Lesergalerie
  • Kontakt
  • Hajek Blog
  • Godany Blog
  • Best of Datum 50
  • Trotzdem

Abonnements

Abonnements

Podcast

Start Podcast-Player

MIT iTUNES ABONNIEREN

RSS 2.0 Feed

Archivsuche

Credits

twoday.net
  • xml version of this page
  • xml version of this page (with comments)

zum Inhalt