Inhalt

zur Navigation

Weltverbesserer

Dort, wo Otto Mühl dereinst die freie Liebe praktizierte, wollen ein Niederösterreicher und eine Norddeutsche ein Ökodorf gründen. Nachhaltigkeit im Burgenland für die, die es sich leisten können.

Text & Fotografie: Georg Eckelsberger
Ronald Wytek hat viel vor. Er hat eine Idee. Und er muss genügend Menschen von seinen Ideen überzeugen, die imstande und willens sind, sein Projekt auch finanziell zu tragen. Dass seine Wahl des Standorts im nördlichen Burgenland dabei ein Problem darstellen könnte, ist ihm bewusst. „Die Tatsache, dass viele Menschen Zurndorf auch heute noch mit Otto Mühl in Verbindung bringen, war ein Minuspunkt“, sagt Wytek. Eine „Insel der Verrückten“ nennt er Mühls Abenteuer. Sein Projekt „Schönwasser“ solle „etwas ganz anderes“ werden. „Vor allem keine Insel.“

weltverbesserer

Aber vorerst sitzt Ronald Wytek noch 150 Kilometer entfernt von seinem Traumdomizil in der Steiermark. „Haus Sonnenschein“ steht in großen Buchstaben auf der Holztafel neben der Einfahrt zu der ehemaligen Pension in Altenmarkt unterhalb der Riegersburg, eine knappe Autostunde östlich von Graz. Hier wohnt der 38-Jährige gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Silke Münkenwarf. Es ist ein abgeschiedener Ort, hoch über dem verschlafenen Dorf am Hang. Hier scheint auch noch die Sonne, wenn das Tal bereits im Schatten der angrenzenden Berge versinkt. „Ja, wir haben eine super Aussicht, aber wir wollen weg, und zwar schon relativ bald“, sagt Wytek. In den kommenden Wochen wird das Paar ins Burgenland ziehen, um dort sein eigenes Dorf aufzubauen – selbstverwaltet, nachhaltig, friedfertig. „Ich will so leben, dass ich meinen Kindern einmal sagen kann: Damals, vor dem Umbruch, das war eine schwierige Zeit. Aber ich habe mich für das Ziel entschieden, klimaschonend zu leben. Und ich habe mich nicht nur dafür entschieden, sondern auch daran mitgewirkt“, sagt Wytek.

Die Idee arbeitet seit langem in ihm. Vor mehr als acht Jahren begann der ehemalige Lotse am Flughafen Wien-Schwechat mit der Verwirklichung seiner „Vision“. Dafür gründete er den Verein Ökodorf Keimblatt und zog zunächst von Niederösterreich in die Oststeiermark. Von hier aus plante er seine Siedlung, die eine „absolute Innovation“ darstellen soll: eine Lebensgemeinschaft aus Gleichgesinnten, die sich dem Umweltschutz verschrieben haben und im Einklang mit dem Planeten leben; die mit den Lebensbedingungen in anderen Städten und Dörfern unzufrieden sind und einen Ausweg suchen.

Zunächst müssen Wytek und Münkenwarf aber eine Wohnung in Zurndorf mieten, um von dort aus die Ankunft der Siedler vorzubereiten. Denn dort, wo Wytek in Zukunft leben möchte, befindet sich gegenwärtig lediglich ein brachliegender Acker. Schon in wenigen Jahren aber sollen hier bis zu 150 Menschen wohnen. Wytek hat bereits eine ziemlich genaue Vorstellung, wer diese Siedler sein sollen. „Wir möchten, dass die Menschen im Dorf wohnen und arbeiten können, also sollten es Berufe sein, die man auch von dort aus ausüben kann“, sagt er. Leute aus der IT-Branche beispielsweise, aber auch Pensionisten. „Es müssen Menschen sein, die sich für die gute Sache einsetzen wollen.“ Und die sich das auch leisten können. Denn zumindest zu Beginn braucht das Projekt Siedler, die es auch finanziell mittragen wollen. „Schönwasser“ soll das Gelände heißen, mit 30.480 Quadratmetern hätte es etwas mehr als die Fläche von vier Fußballfeldern.

Für die Verwirklichung seiner Vision hat sich Wytek einen geschichtsträchtigen Ort ausgesucht: Zurndorf im nördlichen Burgenland – jene Gemeinde, in der Otto Mühl vor fast dreißig Jahren seine berüchtigte Kommune gründete. 1972 war Mühl mit seinen Anhängern in den Friedrichshof eingezogen, um dort unter anderem freie Sexualität vorzuleben. Das Experiment ist gescheitert: Wegen Vergewaltigung, Unzucht mit Minderjährigen und anderen Delikten wurde der Wiener Aktionskünstler 1991 zu sieben Jahren Haft verurteilt, heute lebt er in einer Großkommune in der Stadt Faro in Südportugal. Jetzt beherbergt der Friedrichshof unter anderem Ateliers, ein Seminarhotel und einen Gasthof, aus der Kommune ist ein Refugium für Künstler und naturverbundene Unternehmer geworden.

Sechs Kilometer davon entfernt soll nun „Schönwasser“ entstehen – Wyteks Vorstellung des besseren Zusammenlebens. Auf einem Lageplan zeigt er, wie er sich sein Dorf vorstellt: Mittig ist ein großer Teich abgebildet, daneben ein paar Wohnhäuser, ein Campingplatz und ein Besucherzentrum, in dem er Interessenten empfangen will. Parkplätze sind nur außerhalb der Siedlung geplant, die Bewohner sollen ohne eigene Fahrzeuge auskommen. Leben sollen sie in „Nachbarschaften“, Mehrfamilienhäusern mit zwölf Personen und errichtet in „Strohballenausführung“. „Die Wände werden ganz normal verputzt. Man sieht nicht, dass Stroh als Dämmmaterial verwendet wurde“, sagt Wytek. Mit einem Meter seien die Außenwände zwar deutlich dicker als üblich, die Vorteile würden aber überwiegen. Gemeinsam mit Hybrid-Sonnenkollektoren, die sowohl Strom als auch Wärme produzieren, könne durch die Dämmung ein Energieüberschuss erwirtschaftet werden. Dieser soll in einen Erdspeicher fließen. So soll „Schönwasser“ künftig energieautark funktionieren.

Der Unabhängigkeit sind aber zumindest vorerst Grenzen gesetzt. Zurndorf biete eine gute Infrastruktur, sagt Wytek – Arzt, Schule und Supermarkt sollen deshalb im angrenzenden Dorf genutzt werden. Welche Bereiche „Schönwasser“ in Zukunft autonom organisieren kann, hängt vor allem davon ab, wer sich ansiedelt. Für die erste Gruppe von zwanzig Bewohnern stellt sich Wytek bestimmte Berufsgruppen vor, die besonders dringend benötigt werden: Menschen aus dem Bau- und Finanzwesen, Lehrer, Anwälte, aber auch Gastronomen und Marketingexperten. „Natürlich ist es auch denkbar, dass wir in Zukunft einen eigenen Kindergarten haben oder uns mittels eigener Landwirtschaft selbst versorgen“, sagt Wytek. „Das hängt aber davon ab, ob es Siedler gibt, die das verwirklichen wollen.“

Es solle eine Siedlung werden, „die sich einerseits unterscheiden will und gleichzeitig Teil der Gemeinde sein will“, sagt Silke Münkenwarf, Wyteks Lebensgefährtin. „Es geht auch darum, für alle Menschen, die nicht dort wohnen, eine Inspiration zu sein.“ Nicht nur zukünftige Siedler sind im Dorf willkommen. „Schönwasser“ soll Vorbild für Menschen aus ganz Österreich und schlussendlich der ganzen Welt sein. Sie sollen ins nördliche Burgenland kommen und von dem Modell lernen. „Wir haben einen ganz zentralen Punkt“, sagt Münkenwarf. „Wir wollen uns in den Dienst der Welt stellen. Wir wollen etwas schaffen, das die Gesamtheit verbindet, so etwas wie eine Essenz, in der man sich wiederfindet.“

Ronald Wytek spricht eher aus der Perspektive des nachhaltig orientierten Planers, redet von Niedrigenergiehäusern und der gemeinsamen Nutzung von Waschmaschinen. Gemeinsam arbeiten sie seit Jahren als Trainer in der Projektentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung. Münkenwarf erzählt von der „Achtsamkeit im Miteinander“, von „Balance im Zusammenleben“ und „Redekreisen für ein besseres gegenseitiges Verständnis“. Und von der Möglichkeit, „gemeinsam in die Stille zu gehen“. „Spiritualität ist mir persönlich ganz wichtig“, sagt die 42-Jährige. „Es gibt aber keine gemeinsame Ausrichtung“, sagt Wytek. „Wie gut vertragen Ihre Leser das Wort ‚Spiritualität‘ überhaupt? Wohl nicht so gut.“

Wie sich „Schönwasser“ finanzieren soll, darüber kann Wytek nur beschränkt Auskunft geben. „Das Geld ist noch nicht aufgetrieben, das Grundstück noch nicht gekauft.“ 8,2 Millionen Euro hat er für die Finanzierung des gesamten Projekts bis 2022 veranschlagt, etwa eine Million braucht er für den Kauf des Grundstücks – Wytek möchte die Höhe des Kaufpreises nicht näher kommentieren. Das nötige Geld soll aus Privatdarlehen, Förderungen der öffentlichen Hand und Kooperationen mit ökologisch orientierten Unternehmen kommen. Und schließlich von den zukünftigen Siedlern selbst.

Für eine Wohnfläche von 60 Quadratmetern hätte ein Haushalt eine einmalige Siedlereinlage von 30.000 Euro zu bezahlen, rechnet Wytek vor. Monatliche Beiträge von anfangs 100 Euro sollen laufende Kosten decken. Zusätzlich falle eine Miete von etwa 400 Euro an. Mit einer herkömmlichen Genossenschaftswohnung in ähnlicher Lage könnte man wohl die doppelte Wohnfläche bekommen. Die Finanzierung ist nun die letzte Hürde, die zwischen Wytek und der Verwirklichung seiner Vision steht.

Denn Geld ist auch der entscheidende Punkt für Werner Friedl, den Bürgermeister von Zurndorf. „Voraussetzung ist, dass Wytek das Grundstück erwirbt“, sagt er. „Dann sehe ich keine Probleme.“ Nachhaltigkeit sei in seiner Gemeinde ohnehin ein Schwerpunkt. „Wir planen gerade neue Windräder, ich freue mich, wenn solche Projekte verwirklicht werden.“ Details seien allerdings noch nicht geklärt, sagt Friedl. „Das macht auch keinen Sinn, bevor das Grundstück nicht gekauft ist.“

Teilen



Navigation

zum Inhalt

  • Aktuelle Ausgabe
  • Bisher erschienen
  • Über Datum
  • Events
  • Wo gibts Datum
  • Lesergalerie
  • Kontakt
  • Hajek Blog
  • Godany Blog
  • Best of Datum 50
  • Trotzdem

Abonnements

Abonnements

Podcast

Start Podcast-Player

MIT iTUNES ABONNIEREN

RSS 2.0 Feed

Archivsuche

Credits

twoday.net
  • xml version of this page
  • xml version of this page (with comments)

zum Inhalt