Franz Schuh: Verbrechen & Strafe
Niedrig & Klein
Von Politik verstehe ich nichts. Darauf bin ich nicht stolz, aber vielleicht kann ich mich damit trösten, dass die Politik gelegentlich von selbst Züge des Unverständlichen annimmt. In diesem Sinne ist Verstehen nicht immer die passende Reaktion auf Politik. Es gibt – aus der jüngsten Zeit – zwei Fälle der österreichischen Politik, die mir ein elaboriertes Unverständnis nahelegen. Folgt man diesen Fällen, dann ist Politik nicht die Kunst des Möglichen und schon gar nicht diese Sache mit dem Bretterbohren. Politik ist dann die Kunst, sich ohne Notwendigkeit in ein Dilemma hineinzumanövrieren, aus dem man nicht herauskommt.
Politik von früher
Im ersten Fall ist es die Justizministerin (von früher) gewesen. Sie sagte plötzlich irgendetwas in der Art, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die österreichische Justiz sinke und sie jetzt durchgreifen müsse. Bisher hat sie allerdings diesen Sinkflug ziemlich selbstgerecht als ungerechtfertigt bezeichnet. Auf einmal aber findet sie auch, dass das, was in der Zeitung über die Justiz steht, stimmt. Die Justiz lässt sich das natürlich nicht gefallen, und schon tritt ein Vertreter der Staatsanwaltschaft im Fernsehen auf und zeiht die Ministerin dieses und jenes. Der Staatsanwalt am Bildschirm könnte gut und gern den jungen Robespierre in einer englischen Laienspielgruppe, zum Beispiel in der von Midsomer Worthy, spielen. Ich würde so gern von seinen Lippen das Wort „Guillotine“ hören.
Aber in der Justiz spielt’s auch so Caramba, das heißt: Es donnert im Gebälk. Der rätselhafte Schwenk in der Weltbetrachtung der Justizministerin, ihr Überlaufen zu den nicht mehr vertrauensvollen Bürgern, mit fliegenden Fahnen, hat aber möglicherweise einen rationalen Grund. Die, die mir die Politik erklären, behaupten, es könnte eine Intrige sein: Bandion-Ortners Karriere ist im Sinkflug. Um noch einmal das Steuer herumzureißen, verlangt sie schnell die Beschleunigung aller prominenten Verfahren. So wird sie der Parteichef ihres Amtes nicht entheben, denn die Amtsenthebung würde dann eine Kämpferin für Recht und Ordnung treffen. Das traut sich der Pröll, auf dessen Rückkehr in die Chefposition man damals noch wartete, nie …
Immer noch im Amt
In dem anderen Fall passierte eine Einladung und dann eine Ausladung: Gabi Burgstaller lud Jean Ziegler ein. Er sollte die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen halten.
Ich fand das eine gute Idee, denn wie kann man denn besser diese Reihe von ziemlich subtilen Produktionen einleiten als durch jemanden, der deutlich und hart den Zustand der Welt zur Sprache bringen will? Man sollte der „affirmativen Kultur“, also der hochgeistig beschönigenden, auch ungeschönt die Fakten der sozialen Wirklichkeit entgegenhalten. Überhaupt ist der Gestus des ungeschönten Entgegenhaltens chic, aber nicht nur: Die Spaltung zwischen dem Schönen und dem Ungeschönten macht unser Leben aus – sie mit Hilfe von Jean Ziegler vor Augen zu führen ist eine kulturelle Tat.
Das sollte nicht sein. Ziegler wurde von Burgstaller ausgeladen, und zwar aus einem bedenklichen Grund: Nachdem Gaddafi gedroht habe, so die Salzburger Nachrichten, „den Krieg nach Europa zu tragen, habe sie verhindern wollen, dass Zieglers Beziehung zu ihm – ob freundschaftlich oder nicht – zum Hauptthema der Festspiele werde“.
Ja, die Welt hängt zusammen, man weiß gar nicht, was für Dreck von einer Ritze in die andere fällt. Für mich klingt Burgstallers Antizipation des an den Haaren herbeigezogenen „Hauptthemas der Festspiele“ so ähnlich wie Ernst Strassers argumentum crucis: Er habe die Gespräche mit seinen Enthüllern nur geführt, um sie seinerseits zu enthüllen. Es klingt wie eine aufgeblasene Ausrede. Aber in dieser Angelegenheit, die mir rätselhaft ist (denn man weiß doch, wen man einlädt?), gibt es wenigstens einen Punkt, den auch Gabi Burgstaller nicht versteht: Burgstaller verstehe nicht, warum Jean Ziegler die interne Diskussion über seine Ausladung von den Festspielen ohne Rücksprache mit ihr nach außen getragen habe. „Vielleicht geht es ihm ja darum, ein neues Buch zu bewerben“, mutmaßte sie, „da wünsche ich ihm viel Erfolg.“
Das ist unglaublich, und es ist so schlimm, dass ich keine polemischen Absichten mehr gegen die Landeshauptfrau hege. Mit keiner Polemik kann man kompensieren, was hier Verächtliches gesagt wird. Wer so spricht, kann einem leidtun: Dass Jean Ziegler, ein veröffentlichender Mensch, keine Geheimpolitik in so einer Angelegenheit betreiben würde, versteht sich von selbst. Der Hohn, ihn mit der Niedrigkeit zu stigmatisieren, er würde „vielleicht“ ein neues Buch bewerben wollen (und erst recht der Nachschub: „da wünsche ich ihm viel Erfolg“), ist so kleingeistig, dass ich mir unwillkürlich vorstellen muss, wie Politiker und Politikerinnen heutzutage an ihre „großen Aufgaben“ herangehen.
Auf die Spitze getrieben
Der Ton macht die Musik: „Würde sie jetzt dennoch geschasst“, stand in einer Zeitung über die damalige Justizministerin, „hieße es, dies sei passiert, weil sie die Justiz arbeiten lassen, ihr nicht länger zum Schutz von Parteigängern in den Arm fallen wollte. Und das fiele nur der ÖVP auf den Kopf.“ Der Kopf der ÖVP – na ja, wer schreibt, metaphorisiert leicht bis zum Faseln. Aber die ÖVP hat nicht nur bildlich, sondern wirklich, also wörtlich, einen Kopf: Kopf ist im Parlament der Klubobmann (gewesen), und es ist mir unmöglich, ihn vom (gewesenen) Generalsekretär Fritz Kaltenegger zu unterscheiden. Da taucht einmal der eine auf, dann der andere, und beide wirken tapfer, aber jeder auf seine austauschbare Art überlastet. Ich erfahre gerade, dass Spindelegger die Partei erneuern will, und das kann für mich nur eine Intensivierung der Orientierungslosigkeit bedeuten: Es werden neue Leute sein, die ich nicht voneinander unterscheiden kann.
Aber den Ton, mit dem die Zeitungen die Politiker darstellen, habe ich unverwechselbar im Ohr. Hätte mein Kollege Wolfgang Simonitsch aus der Kleinen Zeitung, den ich oben zitierte, bemerkt, dass er seinen wichtigen Satz mit „Würde“ begann, dann wäre er vielleicht auch draufgekommen, dass er einer Würdenträgerin der Republik ohne Weiteres unterstellt, fies und mies zu agieren. Die einheimische Presse und die Politik sind einander mit Recht in wechselseitiger Selbstverachtung verbunden. Sie organisieren die Selbstverachtung der Bürger lückenlos. Und was Burgstaller und ihre Einladungspolitik betrifft, so las ich im deutschen Feuilleton eine Glosse, die sich eitel auf Thomas Bernhard berief: Er sei es gewesen, der die kleingeistigen österreichischen Politiker so aussehen hat lassen, wie sie wirklich sind.
Nachschlag
Ja, man soll nicht nachtragend sein. Ich kann halt nicht anders. Ich muss nämlich nachtragen, dass mich Claus Peymann nicht nur der Zwergenhaftigkeit (siehe DATUM 04/2011), sondern auch einer Niedrigkeit beschuldigt hat. Solche Kolumnen, wie ich sie hier schreibe, sind Wuteckerln. Überall im Land stehen solche Wuteckerln bereit, damit wenigstens ein paar Auserlesene ihrer Wut freien Lauf lassen können: Der Wut-Kleinbürger arbeitet für die edelsten Blätter!
Und in meiner letzten Kolumne habe ich mich furchtbar über eine Fernsehdramaturgie des ORF aufgeregt: Da sammeln die Redakteure bei ein paar Leuten kritische Meinungen zu Thomas Bernhard ein, dann spielen sie die Sammlung Claus Peymann vor. Der sitzt im Studio auf seinem Pfauenthron und stellt den Blödsinn richtig, den ihm andere haben vorsagen dürfen.
Allein aus einem pragmatischen Grund wäre ich im Studio gerne dabei gewesen: Im Interview hatte ich irgendetwas von Peymanns „Werbefeldzügen“ gemurmelt. Er hielt mir dann vor, Leute wie ich würden immer nur an solche Niedrigkeiten denken. Solche Leute wie ich hätten keine Vorstellungen davon, dass es ganz andere als schnöde Gründe gäbe.
Da hat er ja recht: Während er ausschließlich ans Hohe denkt, zum Beispiel an seine Gagen, bin ich skeptisch. Aber bei aller Skepsis habe ich seine „Werbefeldzüge“, die ja dem Werk von Bernhard dienten, die also einen guten Zweck hatten, weniger kritisiert als gelobt. Was soll denn ein Theaterdirektor sonst machen als Werbefeldzüge?
Das Nirgendwo der Kritik
Ich kann nicht erwarten, dass jemand, der sein’ Sach’ nicht auf nichts gestellt hat, sondern auf Thomas Bernhard, mir recht gibt: Die Bernhardiner in ihrer Verehrungswut sind mindestens ebenso problematisch wie wir an seiner Weltgeltung zerschellenden Kritiker. Wunderbar stellt das der große Schauspieler Peter Simonischek dar, wenn er sagt: „Thomas Bernhard – allein, dass er im Alter von 15 Jahren auf dem Weg zum Gymnasium kehrtmacht und sagt: ‚Aus! Ich geh’ aufs Arbeitsamt!‘ Das ist schon eine Leistung!“ Ich weiß ja, was Simonischek meint – aber andererseits: Wenn man sich vors Arbeitsamt stellt, findet man nicht wenige, die genau diese Leistung erbringen.
Es kommt bekanntlich nicht auf die Größe an. Wenn Thomas Bernhard zu anderen Größen, zu Handke und Canetti, assoziiert: „Es gibt ja fast nur opportunistische Schriftsteller … Der eine arbeitet mit seiner Krankheit und seinem Tod und kriegt seine Preise, und der andere rennt für den Frieden herum und ist im Grunde ein gemeiner, blöder Kerl, also was soll’s?“, so ist das ein Blödsinn, egal mit welchem Überschmäh er serviert wird. Um so einen Blödsinn zu erkennen, braucht man nicht annähernd so bedeutend zu sein wie die Größe, die ihn vertritt und unter deren Namen er im Band „Der Wahrheit auf der Spur“ abgedruckt ist. Das ist eben „Kritik“, eine scheußliche Erfindung, ihr haftet etwas Demokratisches an, und zwar dass jeder Depp, wenn er recht hat, auch gegen einen Geistesriesen recht haben kann.
Die Kritik enthält außerdem eine andere Utopie, ein Nirgendwo, von dem man gar nicht zu reden wagt: dass sie die einzig angemessene Würdigung einer geistigen Leistung ist. Bewundern reicht nicht, für eine Wertschätzung muss man schon arbeiten! Klar, es wird propagiert, Kritik sei unproduktiv – aber Kritik als Utopie könnte sogar einem Werk jene Spannung wiedergeben, die ihm Kanonisierung und Musealisierung nehmen. Aber Peymann, der Museumswärter seiner glorreichen Geschichte, kennt natürlich den wahren Grund, warum ein Kritiker wie ich sogar Thomas Bernhard gegenüber nicht unkritisch ist: NEID. Es ist der Neid, der mir aus den Augen springt. Der Neid ist das Joker-Argument in den Köpfen der Beneidenswerten: Es sticht alles. Aber ich kann garantieren, dass der Neid, der sich in der üblen Nachrede immer bewährt, in der Sache selbst keine Rolle spielt: Wenn ein Argument stimmt, dann ist es gleichgültig, ob ich nur aus Neid draufgekommen bin. Ist ein Argument falsch, dann helfen mir auch die edelsten Gefühle nicht, um es aufrechtzuerhalten.
Furcht und Mitleid
Es ist eine Epoche der Sykophanten, der Denunzianten, der üblen Nachredner: Sie erklären sich gegenseitig aus den niedrigsten Motiven. Wir sind tief unten, es hilft uns keiner auf. Ich will wenigstens nicht verkennen, in welchem furchtbaren Milieu ein Peymann überleben muss. Da erscheint der große Schauspieler Michael Degen bei Harald Schmidt in der Sendung. Schmidt: „Haben Sie mit Peymann gearbeitet?“ Degen: „Nein.“ Schmidt: „Möchten Sie mit ihm arbeiten?“ Degen: „Nein.“ Schmidt: „Warum nicht?“ Degen: „Ich glaube, seine Zeit ist vorbei.“ Und Peymann antwortete in der nächsten Sendung mit einem episch angelegten Brief. Bei allen satirischen Einlagen gab darin die weinerliche Frage den Ton an, warum denn einer im Fernsehen so gegen ihn „hetzt“, und natürlich war der Regisseur um die Antwort nicht verlegen: Hatte Degen, der auch Bücher schreibt, nicht seinen Roman im Berliner Ensemble, dessen Direktor Peymann ist, vorstellen wollen, und weil er es nicht durfte, würde er nun …
Bisher erschienene Kolumnen finden Sie hier.
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Politik von früher
Im ersten Fall ist es die Justizministerin (von früher) gewesen. Sie sagte plötzlich irgendetwas in der Art, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die österreichische Justiz sinke und sie jetzt durchgreifen müsse. Bisher hat sie allerdings diesen Sinkflug ziemlich selbstgerecht als ungerechtfertigt bezeichnet. Auf einmal aber findet sie auch, dass das, was in der Zeitung über die Justiz steht, stimmt. Die Justiz lässt sich das natürlich nicht gefallen, und schon tritt ein Vertreter der Staatsanwaltschaft im Fernsehen auf und zeiht die Ministerin dieses und jenes. Der Staatsanwalt am Bildschirm könnte gut und gern den jungen Robespierre in einer englischen Laienspielgruppe, zum Beispiel in der von Midsomer Worthy, spielen. Ich würde so gern von seinen Lippen das Wort „Guillotine“ hören.
Aber in der Justiz spielt’s auch so Caramba, das heißt: Es donnert im Gebälk. Der rätselhafte Schwenk in der Weltbetrachtung der Justizministerin, ihr Überlaufen zu den nicht mehr vertrauensvollen Bürgern, mit fliegenden Fahnen, hat aber möglicherweise einen rationalen Grund. Die, die mir die Politik erklären, behaupten, es könnte eine Intrige sein: Bandion-Ortners Karriere ist im Sinkflug. Um noch einmal das Steuer herumzureißen, verlangt sie schnell die Beschleunigung aller prominenten Verfahren. So wird sie der Parteichef ihres Amtes nicht entheben, denn die Amtsenthebung würde dann eine Kämpferin für Recht und Ordnung treffen. Das traut sich der Pröll, auf dessen Rückkehr in die Chefposition man damals noch wartete, nie …
Immer noch im Amt
In dem anderen Fall passierte eine Einladung und dann eine Ausladung: Gabi Burgstaller lud Jean Ziegler ein. Er sollte die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen halten.
Ich fand das eine gute Idee, denn wie kann man denn besser diese Reihe von ziemlich subtilen Produktionen einleiten als durch jemanden, der deutlich und hart den Zustand der Welt zur Sprache bringen will? Man sollte der „affirmativen Kultur“, also der hochgeistig beschönigenden, auch ungeschönt die Fakten der sozialen Wirklichkeit entgegenhalten. Überhaupt ist der Gestus des ungeschönten Entgegenhaltens chic, aber nicht nur: Die Spaltung zwischen dem Schönen und dem Ungeschönten macht unser Leben aus – sie mit Hilfe von Jean Ziegler vor Augen zu führen ist eine kulturelle Tat.
Das sollte nicht sein. Ziegler wurde von Burgstaller ausgeladen, und zwar aus einem bedenklichen Grund: Nachdem Gaddafi gedroht habe, so die Salzburger Nachrichten, „den Krieg nach Europa zu tragen, habe sie verhindern wollen, dass Zieglers Beziehung zu ihm – ob freundschaftlich oder nicht – zum Hauptthema der Festspiele werde“.
Ja, die Welt hängt zusammen, man weiß gar nicht, was für Dreck von einer Ritze in die andere fällt. Für mich klingt Burgstallers Antizipation des an den Haaren herbeigezogenen „Hauptthemas der Festspiele“ so ähnlich wie Ernst Strassers argumentum crucis: Er habe die Gespräche mit seinen Enthüllern nur geführt, um sie seinerseits zu enthüllen. Es klingt wie eine aufgeblasene Ausrede. Aber in dieser Angelegenheit, die mir rätselhaft ist (denn man weiß doch, wen man einlädt?), gibt es wenigstens einen Punkt, den auch Gabi Burgstaller nicht versteht: Burgstaller verstehe nicht, warum Jean Ziegler die interne Diskussion über seine Ausladung von den Festspielen ohne Rücksprache mit ihr nach außen getragen habe. „Vielleicht geht es ihm ja darum, ein neues Buch zu bewerben“, mutmaßte sie, „da wünsche ich ihm viel Erfolg.“
Das ist unglaublich, und es ist so schlimm, dass ich keine polemischen Absichten mehr gegen die Landeshauptfrau hege. Mit keiner Polemik kann man kompensieren, was hier Verächtliches gesagt wird. Wer so spricht, kann einem leidtun: Dass Jean Ziegler, ein veröffentlichender Mensch, keine Geheimpolitik in so einer Angelegenheit betreiben würde, versteht sich von selbst. Der Hohn, ihn mit der Niedrigkeit zu stigmatisieren, er würde „vielleicht“ ein neues Buch bewerben wollen (und erst recht der Nachschub: „da wünsche ich ihm viel Erfolg“), ist so kleingeistig, dass ich mir unwillkürlich vorstellen muss, wie Politiker und Politikerinnen heutzutage an ihre „großen Aufgaben“ herangehen.
Auf die Spitze getrieben
Der Ton macht die Musik: „Würde sie jetzt dennoch geschasst“, stand in einer Zeitung über die damalige Justizministerin, „hieße es, dies sei passiert, weil sie die Justiz arbeiten lassen, ihr nicht länger zum Schutz von Parteigängern in den Arm fallen wollte. Und das fiele nur der ÖVP auf den Kopf.“ Der Kopf der ÖVP – na ja, wer schreibt, metaphorisiert leicht bis zum Faseln. Aber die ÖVP hat nicht nur bildlich, sondern wirklich, also wörtlich, einen Kopf: Kopf ist im Parlament der Klubobmann (gewesen), und es ist mir unmöglich, ihn vom (gewesenen) Generalsekretär Fritz Kaltenegger zu unterscheiden. Da taucht einmal der eine auf, dann der andere, und beide wirken tapfer, aber jeder auf seine austauschbare Art überlastet. Ich erfahre gerade, dass Spindelegger die Partei erneuern will, und das kann für mich nur eine Intensivierung der Orientierungslosigkeit bedeuten: Es werden neue Leute sein, die ich nicht voneinander unterscheiden kann.
Aber den Ton, mit dem die Zeitungen die Politiker darstellen, habe ich unverwechselbar im Ohr. Hätte mein Kollege Wolfgang Simonitsch aus der Kleinen Zeitung, den ich oben zitierte, bemerkt, dass er seinen wichtigen Satz mit „Würde“ begann, dann wäre er vielleicht auch draufgekommen, dass er einer Würdenträgerin der Republik ohne Weiteres unterstellt, fies und mies zu agieren. Die einheimische Presse und die Politik sind einander mit Recht in wechselseitiger Selbstverachtung verbunden. Sie organisieren die Selbstverachtung der Bürger lückenlos. Und was Burgstaller und ihre Einladungspolitik betrifft, so las ich im deutschen Feuilleton eine Glosse, die sich eitel auf Thomas Bernhard berief: Er sei es gewesen, der die kleingeistigen österreichischen Politiker so aussehen hat lassen, wie sie wirklich sind.
Nachschlag
Ja, man soll nicht nachtragend sein. Ich kann halt nicht anders. Ich muss nämlich nachtragen, dass mich Claus Peymann nicht nur der Zwergenhaftigkeit (siehe DATUM 04/2011), sondern auch einer Niedrigkeit beschuldigt hat. Solche Kolumnen, wie ich sie hier schreibe, sind Wuteckerln. Überall im Land stehen solche Wuteckerln bereit, damit wenigstens ein paar Auserlesene ihrer Wut freien Lauf lassen können: Der Wut-Kleinbürger arbeitet für die edelsten Blätter!
Und in meiner letzten Kolumne habe ich mich furchtbar über eine Fernsehdramaturgie des ORF aufgeregt: Da sammeln die Redakteure bei ein paar Leuten kritische Meinungen zu Thomas Bernhard ein, dann spielen sie die Sammlung Claus Peymann vor. Der sitzt im Studio auf seinem Pfauenthron und stellt den Blödsinn richtig, den ihm andere haben vorsagen dürfen.
Allein aus einem pragmatischen Grund wäre ich im Studio gerne dabei gewesen: Im Interview hatte ich irgendetwas von Peymanns „Werbefeldzügen“ gemurmelt. Er hielt mir dann vor, Leute wie ich würden immer nur an solche Niedrigkeiten denken. Solche Leute wie ich hätten keine Vorstellungen davon, dass es ganz andere als schnöde Gründe gäbe.
Da hat er ja recht: Während er ausschließlich ans Hohe denkt, zum Beispiel an seine Gagen, bin ich skeptisch. Aber bei aller Skepsis habe ich seine „Werbefeldzüge“, die ja dem Werk von Bernhard dienten, die also einen guten Zweck hatten, weniger kritisiert als gelobt. Was soll denn ein Theaterdirektor sonst machen als Werbefeldzüge?
Das Nirgendwo der Kritik
Ich kann nicht erwarten, dass jemand, der sein’ Sach’ nicht auf nichts gestellt hat, sondern auf Thomas Bernhard, mir recht gibt: Die Bernhardiner in ihrer Verehrungswut sind mindestens ebenso problematisch wie wir an seiner Weltgeltung zerschellenden Kritiker. Wunderbar stellt das der große Schauspieler Peter Simonischek dar, wenn er sagt: „Thomas Bernhard – allein, dass er im Alter von 15 Jahren auf dem Weg zum Gymnasium kehrtmacht und sagt: ‚Aus! Ich geh’ aufs Arbeitsamt!‘ Das ist schon eine Leistung!“ Ich weiß ja, was Simonischek meint – aber andererseits: Wenn man sich vors Arbeitsamt stellt, findet man nicht wenige, die genau diese Leistung erbringen.
Es kommt bekanntlich nicht auf die Größe an. Wenn Thomas Bernhard zu anderen Größen, zu Handke und Canetti, assoziiert: „Es gibt ja fast nur opportunistische Schriftsteller … Der eine arbeitet mit seiner Krankheit und seinem Tod und kriegt seine Preise, und der andere rennt für den Frieden herum und ist im Grunde ein gemeiner, blöder Kerl, also was soll’s?“, so ist das ein Blödsinn, egal mit welchem Überschmäh er serviert wird. Um so einen Blödsinn zu erkennen, braucht man nicht annähernd so bedeutend zu sein wie die Größe, die ihn vertritt und unter deren Namen er im Band „Der Wahrheit auf der Spur“ abgedruckt ist. Das ist eben „Kritik“, eine scheußliche Erfindung, ihr haftet etwas Demokratisches an, und zwar dass jeder Depp, wenn er recht hat, auch gegen einen Geistesriesen recht haben kann.
Die Kritik enthält außerdem eine andere Utopie, ein Nirgendwo, von dem man gar nicht zu reden wagt: dass sie die einzig angemessene Würdigung einer geistigen Leistung ist. Bewundern reicht nicht, für eine Wertschätzung muss man schon arbeiten! Klar, es wird propagiert, Kritik sei unproduktiv – aber Kritik als Utopie könnte sogar einem Werk jene Spannung wiedergeben, die ihm Kanonisierung und Musealisierung nehmen. Aber Peymann, der Museumswärter seiner glorreichen Geschichte, kennt natürlich den wahren Grund, warum ein Kritiker wie ich sogar Thomas Bernhard gegenüber nicht unkritisch ist: NEID. Es ist der Neid, der mir aus den Augen springt. Der Neid ist das Joker-Argument in den Köpfen der Beneidenswerten: Es sticht alles. Aber ich kann garantieren, dass der Neid, der sich in der üblen Nachrede immer bewährt, in der Sache selbst keine Rolle spielt: Wenn ein Argument stimmt, dann ist es gleichgültig, ob ich nur aus Neid draufgekommen bin. Ist ein Argument falsch, dann helfen mir auch die edelsten Gefühle nicht, um es aufrechtzuerhalten.
Furcht und Mitleid
Es ist eine Epoche der Sykophanten, der Denunzianten, der üblen Nachredner: Sie erklären sich gegenseitig aus den niedrigsten Motiven. Wir sind tief unten, es hilft uns keiner auf. Ich will wenigstens nicht verkennen, in welchem furchtbaren Milieu ein Peymann überleben muss. Da erscheint der große Schauspieler Michael Degen bei Harald Schmidt in der Sendung. Schmidt: „Haben Sie mit Peymann gearbeitet?“ Degen: „Nein.“ Schmidt: „Möchten Sie mit ihm arbeiten?“ Degen: „Nein.“ Schmidt: „Warum nicht?“ Degen: „Ich glaube, seine Zeit ist vorbei.“ Und Peymann antwortete in der nächsten Sendung mit einem episch angelegten Brief. Bei allen satirischen Einlagen gab darin die weinerliche Frage den Ton an, warum denn einer im Fernsehen so gegen ihn „hetzt“, und natürlich war der Regisseur um die Antwort nicht verlegen: Hatte Degen, der auch Bücher schreibt, nicht seinen Roman im Berliner Ensemble, dessen Direktor Peymann ist, vorstellen wollen, und weil er es nicht durfte, würde er nun …
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