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Was ich lese und was nicht

Marie Kreutzer, Diagonale-Gewinnerin

Was ich lese:

Das schönste, dichteste, klügste und empfehlenswerteste Buch, das ich seit langem in der Hand hatte, war „Freiheit“ von Jonathan Franzen. Es ist ganz sicher unnotwendig, für diesen Roman noch Werbung zu machen, aber ehrlicherweise kann ich nichts anderes so sehr empfehlen und gleichzeitig zu nichts so wenig sagen: Lesen Sie einfach dieses Buch, wenn Sie es noch nicht getan haben.

Zurzeit lese ich parallel die kurzen und eindringlichen Geschichten aus Marlene Streeruwitz’ Buch „Das wird mir nicht passieren. So bleibe ich Feministin“ und den neuen Roman von Siri Hustvedt, „Der Sommer ohne Männer“. Ich lese beide ein bisschen zögerlich, weil sie mich ein bisschen deprimieren, gleichzeitig beeindruckt mich die Sprache beider Autorinnen und vor allem die Intensität der Erzählungen von Marlene Streeruwitz. Und es ist leider oft so, dass die besten Bücher solche sind, die mich eigentlich runterziehen. Unvergessen mein Heulanfall im ICE nach Frankfurt, als ich das Ende von Cormac McCarthys Roman „Die Straße“ erreichte. Ich konnte mich vierzig Minuten lang nicht beruhigen und finde immer noch: das beste Buch der Welt.

Das beste Buch der Welt war für mich lange Zeit „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak, ein zumindest außergewöhnlich schönes Kinderbuch, das 2009 von Spike Jonze verfilmt wurde; ich sah den Film mit meinem Patenkind, er aß entspannt Popcorn, ich weinte wieder, und zwar fast dauernd. Übrigens eine der wenigen wirklich geglückten Literaturverfilmungen.

Sehr stolz war ich, als ich mich, während ich das Drehbuch zu meinem aktuellen Film „Die Vaterlosen“ schrieb, durch ein Gilles-Deleuze-Buch kämpfte. Ich habe es weder verstanden noch zu Ende gelesen, sondern stattdessen eine Zusammenfassung auf Wikipedia. Die meisten Philosophen fehlen mir also noch, obwohl ich das immer irgendwie vorhabe.

Wenn ich in der Drehbucharbeit und der Vorbereitung zu meinem Film nicht weiterwusste, schlug ich gern wahllos irgendwo die „Notizen zum Kinematographen“ von Robert Bresson auf. Jede seiner kurzen Notizen ist Inspiration und Anstoß für mich – und sein winziges Buch wertvoller als das meiste, was die Filmfachliteratur so zu bieten hat.


mariekreutzer

Was ich nicht lese:

Ich habe aufgehört, Frauenzeitschriften zu lesen. Frauenzeitschriften sind der Gegner der Emanzipation, tun aber wahnsinnig emanzipiert. Das moderne, trügerische Bild der selbstbestimmten Frau, das sie uns verkaufen, ist ein unerreichbares, und heute nicht mehr nur deswegen, weil 18-jährige Models „uns Frauen“ repräsentieren. In Frauenzeitschriften wird nicht nur festgehalten, wie wir aussehen sollen, sondern in wahnwitziger Dichte auch, was wir kaufen, tragen, kochen und lesen müssen, wie wir im Büro unersetzlich und für Männer unwiderstehlich werden, wie wir unsere Wohnung und unser Sexualleben gestalten sollen und mit unseren Kindern, Eltern, Freundinnen und Vorgesetzten umzugehen haben.

Der Effekt ist Erschöpfung und das starke Gefühl, irgendwas Wichtiges aus der vorgegebenen To-Do-Liste bis jetzt total verabsäumt zu haben. Allermeistens verbunden mit der Erkenntnis, über zu wenig Geld zu verfügen und schon deswegen ganz viel überhaupt nicht erfüllen zu können, schließlich sind Frauenzeitschriften eigentlich fette Werbekataloge für alles, was der Markt uns Frauen so anzubieten hat.

Es ist mir aber, auch wenn ich Frauenzeitschriften relativ konsequent verweigere, durchaus möglich, gelegentlich die Gala zu lesen. Die Gala ist so überhöht, so knallig und absurd wie ein Comic oder Bilderbuch, da besteht keine Gefahr, mich irgendwie zu irgendwas aufgefordert zu fühlen. Das ist wie der Genuss von Junk Food, die Faszination des irgendwie Grauslichen. Auch wenn ich die Leute da drin gar nicht immer kenne, bin ich ein Fan der Paparazzi-Ästhetik, kann ich lang diese Schnappschüsse betrachten, die so grobkörnig und gleichzeitig so klar einen winzigen Moment festhalten, der nichts bedeuten muss, aber fast beliebig mit Bedeutung aufgeladen werden kann. Paparazzi-Fotos sind irgendwie Kunst.

Was ich wirklich nie lese – und deswegen kann ich dazu auch nicht mehr sagen: Sportmeldungen, Aktienkurse, Gratiszeitungen, Postwurfsendungen, Spam-Mails, die SVA-Kostenaufstellungen, meine zuvor sorgfältig verfassten Einkaufszettel, Allgemeine Geschäftsbedingungen aller Art und die Bibel.

Bisherige Autoren der Reihe „Was ich lese und was nicht“ finden Sie hier.

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